Die Frucht des Bösen
Verzeihen Sie, dass ich Sie angerufen habe.»
Sie war plötzlich hellwach. «Woher wissen Sie von meiner schlimmen Nacht?»
«Ich bin Heiler. Ich kann das fühlen. Ihre Aura – sie war hellweiß, als wir uns das erste Mal begegnet sind – hat sich verfärbt und ist jetzt blau. Das bedeutet, Ihnen ist unwohl. Rot würde besser zu Ihnen passen, obwohl ich für mein Teil Weiß bevorzuge.»
D. D. zwickte sich wieder den Nasenrücken. «Warum haben Sie angerufen, Andrew?»
«Um Sie zu warnen. Es passiert etwas.»
«Verstehe, das Böse will die Weltherrschaft übernehmen.»
«Das wäre nichts Neues. Aber jetzt sage ich Ihnen, dass es ihm womöglich gelingen könnte.»
«Wieso jetzt?»
«Es verfolgt einen Zweck, glaube ich. Und dieser Zweck gibt ihm Kraft.»
«Welchen Zweck?»
«Es will etwas Bestimmtes.»
«Na schön», erwiderte sie müde. «Und worum handelt es sich dabei?»
Andrew ließ mit der Antwort auf sich warten. Vielleicht hatte er sich in seine Zwischensphären zurückgezogen. Auf gut Glück fragte D. D.: «Wie geht es Tika?»
«Tika?», echote er. Gute Antwort.
«Danielle Burton behauptet, Sie kannten das Mädchen», fischte D. D. weiter im Trüben. «Danielle Burton, die Psychiatriekrankenschwester, Sie erinnern sich?»
«Sie ist sauer auf mich.»
«Tika?»
«Nein, Danielle. Ich will sie heilen, aber sie ist nicht bereit, sich in dem Maße helfen zu lassen, wie es nötig wäre. Zu verzeihen ist Schwerstarbeit. Für sie ist es leichter, mich zu verabscheuen.»
«Sie kennen sich also gut. Haben viel Zeit miteinander auf der Station verbracht. Versteh ich Sie richtig, Andrew?»
«Seien Sie nicht so streng mit Danielle», fuhr er fort. «Ohne diese Kinder wäre sie verloren. Ohne deren Liebe würde sie von der Dunkelheit verschluckt.»
«Warum sagen Sie das, Andrew?»
«Es ist ihre Geschichte.»
«Aber Sie wollen sie heilen. Erzählen Sie mir von dieser Geschichte, und ich werde helfen.»
«Für wie dumm halten Sie mich?» In seiner Stimme schwang eine Schärfe an, die ihr bislang verborgen geblieben war. «Ich habe in Ihrer Welt gelebt, Sergeant Warren, und mit harten Bandagen gekämpft. Ich erkenne einen Skeptiker, wenn er mir begegnet. Und ich weiß genau, wann Bullshit aufgetischt wird. Sie sind ein Cop und haben mit Fragen der Heilung nichts am Hut. Ihr Job ist es, Kriminelle zu stellen, und darin sind Sie gut.»
D. D. spürte, wie sich ihr die Nackenhaare aufstellten. «Also bitte –»
«Sie ist verzweifelt», fuhr er fort. «Ich spüre Danielles Schmerz, und weil der völlig unnötig ist, möchte ich helfen. Leider will sie sich nicht helfen lassen. Ich muss das akzeptieren, so wie ich es akzeptieren muss, dass Sie mir nicht glauben oder allenfalls erst dann, wenn es zu spät ist.»
«Zu spät?»
«Da kommt etwas auf uns zu. Es ist mächtig. Es verfolgt einen Zweck.»
«Sagen Sie mir, was Sie wissen, Andrew.»
«Ich möchte, dass Sie vorsichtig sind, Sergeant Warren. Die Geister zielen nicht auf irgendetwas ab, sondern immer auf
jemanden
.»
Andrew legte auf. Verärgert, wie es schien. Sei’s drum, dachte sie, selbst einigermaßen durcheinander.
Negative Energien, Kräfte des Bösen, düstere Ahnungen.
D. D. dachte an das schaurige Bild der vergangenen Nacht, das neunjährige Mädchen, unter der Decke hängend. Mit diesem Fall hatte sie genug zu tun; jetzt auch noch in spirituellen Zwischensphären zu ermitteln ginge entschieden zu weit.
Sie schaffte es schließlich die Treppe hinunter, stieß die schwere Tür auf und ging mit hallenden Schritten über ein fast leeres Parkdeck. Ein unendlich einsames Geräusch, wie sie fand.
Sie war müde. Es ging ihr schlecht. In manchen Dingen hatte Lightfoot recht.
Als sie um eine der breiten Stützsäulen herumkam, sah sie Alex Wilson neben ihrem Wagen auf sie warten. Sie blieb stehen. Sie sahen einander an. Er hatte Schatten unter den Augen, Stoppeln im Gesicht, und sein weißes Hemd war zerknittert.
«Ich … ich lag wohl ziemlich daneben», sagte D. D.
«Ja?»
«Manchmal brauche ich einen Mann, der auf mich aufpasst.»
Er nickte. «Warum auch nicht? Ich brauche manchmal eine Frau, die mein Ego streichelt.»
«Sie sehen zum Fürchten aus.»
«Danke für das Kompliment. Kommen Sie. Ich fahre Sie nach Hause.»
Sie folgte ihm zu seinem Wagen. Ihren konnte sie auch später noch abholen.
Während der ersten fünf Minuten im Auto fiel kein Wort. Sie lehnte den Kopf an die warme Glasscheibe und machte die Augen zu.
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