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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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das auch vorkommen mag. Sex ist keine Pflichtübung, ganz und gar nicht. «
    Er versuchte ihr zu erklären, was er damit meinte, während sich der Subaru Richards Schlupfwinkel immer mehr näherte.
    Anaïs war der Ansicht, daß er mit seinen vierzehneinhalb Jahren in einem Kontext lebte, der sich ungünstig auf seine Entwicklung auswirkte, in einer Umgebung, die von einer derart ausufernden Sexualität geprägt war, daß sie so manchen abgestoßen hätte und ein schlechtes Beispiel bot.
    »Ich kann verstehen, daß dich das mitnimmt«, erklärte sie. »Ich kann verstehen, daß du nicht gerade entzückt darüber bist, so wie die Welt sich dir darstellt. Ich kann verstehen, daß du von Offenbarung, von Erleuchtung und so weiter sprichst, das glaube ich dir gern. Ich weiß, wie das ist. Ich habe das selbst erlebt. Ich habe für deine Schwester das gleiche empfunden, habe mit ihr dasselbe erlebt.«
    Einen Augenblick lang wandte sie den Blick von der Straße ab und sah ihn an, wobei sie sich fragte, ob er sich davon erholen, die Schicksalsprüfung überstehen würde, auf den ersten Blick sah es nicht danach aus. Er war so blaß, daß er bei den ersten Schneeflocken oder wenn er sich einem Regal mit Milchprodukten näherte, unsichtbar zu werden drohte.
    Er sagte, sie könne ihn mal. Er schwor ihr, daß er so lange durchhalten werde, bis er Gaby den Klauen von Dany Clarence entrissen hatte.
    Sie kicherte leise.
    Ein wenig später, gegen zehn Uhr, erreichten sie die Einfahrt eines Hauses, dessen Schornstein friedlich rauchte. Richards Porsche stand ein paar Meter davon entfernt unter einem durchsichtigen Wetterdach. Und daneben der ML 430   Luxury, der Alexandra Storer gehörte.
    »Scheiße!« seufzte Anaïs, nachdem sie die Zündung ausgeschaltet hatte. »So eine Scheiße, was soll denn das heißen?«
    Der Motor machte beim Abkühlen ein leises, klickendes Geräusch. Nichts regte sich außer ein paar Blättern, die hinabfielen, und den Rauchspiralen, die in den ziemlich bedeckten Himmel aufstiegen.
    Evy öffnete die Beifahrertür. Ein starker Geruch nach Holzfeuer schwebte in der Luft. Er hatte Mühe zu analysieren, was er empfand, und sich zu entscheiden, wie er sich verhalten sollte. Er wandte sich Anaïs zu, die eine Sekunde zögerte und ihm dann auf dem Armaturenbrett eine Linie Koks vorbereitete.
    »Na ja«, erklärte sie, »ich habe schon immer damit gerechnet, daß deine Mutter eines Tages mit diesem Problem konfrontiert wird. Ich habe immer gesagt, daß dein Vater ganz bestimmt nicht ins Kloster geht. Weißt du, Frauen haben eine Schwäche für Schriftsteller. Denn diese Typen haben einfach Charme. Vor allem, wenn sie gut sind.«
    Evy hob den Kopf, nachdem er das starke Zeug gesnifft hatte – das ihm direkt ins Gehirn stieg.
    »Warum verleihst du ihm nicht einen Orden?« sagte er zähneknirschend. »Warum gratulierst du ihm nicht, wenn du schon mal dabei bist?«
    Sie blickten sich eine ganze Weile böse an, lieferten sich einen regungslosen, stummen Kampf, den Evy schließlich gewann – er glich derart seiner Schwester, daß es Anaïs zu sehr schmerzte, es mit ihm aufzunehmen.
    »Soll ich hupen?« fragte sie mit tonloser Stimme.
    Er lehnte den Vorschlag ab. Ein Gedanke durchzuckte ihn: Hätte er Reißaus genommen, wenn Anaïs nicht dagewesen wäre? Ein blasser Sonnenstrahl fiel auf die Lichtung, als er sich entschloß, aus dem Subaru zu steigen, den dieses dicke, in Jasminduft gehüllte Mädchen hergefahren hatte. »Alter«, sagte sie mit erhobenem Daumen. »Ich bin bei dir, Alter.«
    Er blieb auf halbem Weg, nach gut zwanzig Metern, stehen. Der Boden war nicht etwa rutschig. Er war zwar mit einer dicken Schicht Kiefernnadeln bedeckt, aber rutschig war er nicht. Jetzt strich gelbes Licht in goldbraunen aufeinanderfolgenden Wellen über die Wälder, die die Bergkuppen bedeckten. Unter das Krächzen der Raben, das Rascheln des Laubs und das Gluckern eines unsichtbaren Bachs mischte sich ein Stück von den Smiths.
    Dann öffnete sich die Tür, und Richard tauchte auf der Schwelle auf, und als er seinen Sohn sah, kratzte er sich am Kopf.
    Für fünfhundert Euro erzählte Anaïs André Trendel alles, die ganze Begegnung in allen Einzelheiten. André war wütend, denn die Summe, die sie aus ihm herauspressen wollte, war reiner Wucher, total übertrieben und geradezu absurd für eine Göre in ihrem Alter, aber sie hatte sich nicht um einen Cent herunterhandeln lassen – diese Generation war noch erschreckender als

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