Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
äußerst unangenehm. Es war wirklich zu blöd, daß er Marlène Aramentis gevögelt hatte. Zu blöd. Er sah, welchen Weg er noch zurücklegen mußte, um sich von seinen erbärmlichen Neigungen zu befreien, um würdig zu sein, würdig zu sein, w-ü-r-d-i-g, und die Entfernung, die ihn davon trennte, entriß ihm ein Stöhnen.
    Sie machten an einer Shell-Tankstelle halt, in der auch Feuerholz und Wollsocken verkauft wurden, die im Schaufenster lagen. Die Luft war kühler und feuchter. Typen stiegen aus ihren Autos und hielten sich das Kreuz.
    Wenn er es gekonnt hätte, wäre auch er ausgestiegen, um sich die Beine zu vertreten.
    Je mehr er sich seinem Vater näherte, desto fremder kam ihm Richard vor. Ja, hatte er ihn eigentlich wirklich gekannt? Hatte er sich auch nur eine Sekunde lang vorstellen können, daß dieser Mann dazu fähig war, ihm einen solchen Schlag zu versetzen, ihm so etwas anzutun, ihm den Dolch bis zum Heft ins Herz zu stoßen, ohne mit der Wimper zu zucken? Anaïs mochte so viele Entschuldigungen für ihn finden, wie sie wollte, Richard hatte den Nullpunkt, die unterste Stufe in der Achtung seines Sohns erreicht, der in diesem Augenblick nachdenklich der Bahn einer Wiesenweihe nachblickte, die über die Tankstelle mit ihren Fahnen und flatternden Girlanden flog – einer Bahn, die sich aus einer Abfolge reiner Formen, vollkommener, majestätischer Kreise zusammensetzte –, während Anaïs das Auto mit Super volltankte und ihn im Rückspiegel beobachtete.
    »Machst du dir Sorgen wegen heute abend?« fragte er.
    »Nein, absolut nicht.«
    »Ich sehe sie schon, wie sie mit heruntergelassenen Hosen wegrennen. Wie sie in ihre Autos springen. Sobald sie riechen, daß es brennt.«
    »Ich mach mir keine Sorgen wegen heute abend, okay? Ich habe keinen Schiß vor heute abend, kapiert?«
    Er fand, daß sie entsetzlich empfindlich war, das war schon fast krankhaft. Die Narben auf ihren Händen und in ihrem Gesicht bezeugten, wie aufbrausend sie sein konnte.
    Eine ganze Weile lang schmollte sie und blieb stumm, die Augen auf die Straße gerichtet, während der Subaru unbeirrt über Hügel und Berge durch eine Landschaft fuhr, die immer menschenleerer wurde.
    Er saß kerzengerade auf seinem unbequemen Sitz – dieses Modell war mindestens fünfzehn Jahre alt. Genau wie die Hälfte seines Körpers war auch die Hälfte seines Geistes gelähmt. Er spürte, wie ihn eine furchtbare Kraft nach vorn schob, aber es gelang ihm nicht, sie zu identifizieren. Es war, als renne er durch den Nebel.
    Und jetzt hatte er Gaby verloren, alles war danebengegangen, alles war von einem Tag auf den anderen vorbei, und er fiel zum zweiten Mal aus schwindelnder Höhe hinab, von seiner Treppe mit ihren sechshundertfünfundsiebzigtausend Stufen, fiel vom Licht in ein finsteres Land, fiel in dieses beschissene Dasein hinab.
    Es hatte eine Woche gedauert, bis er endlich den gräßlichen Geruch von Marlène Aramentis losgeworden war – vor allem an den Händen, an den Fingern, an denen er alle fünf Minuten roch, ehe er mit einem Satz zum nächsten Waschtisch stürmte, und er tat nicht nur so, als bürste er sie ab. Er erinnerte sich, daß er sich fast entmannt hätte, zu Beginn dieser Geschichte. Vermutlich eine etwas zu radikale Lösung, die aber den Vorteil hatte, Wort und Tat in Einklang zu bringen, eine Lösung, die es erlaubte, den gefährlichsten Schlaglöchern auszuweichen, die häufigsten Entgleisungen zu vermeiden.
    »Du hast wirklich eine komische Art, die Dinge zu sehen«, erklärte Anaïs vorsichtig, während sie die in Serpentinen verlaufende letzte Steigung hinauffuhren und Weiden und Gebirgsbäche hinter sich ließen, ehe sie in andere Wälder gelangten. »So komisch, daß ich mich manchmal frage, ob du das nicht im Scherz sagst.«
    »Im Scherz? Im Scherz ?« Er wußte, daß man vor allem nicht aus dem Rahmen fallen durfte, wenn man ernst genommen werden wollte. Er wußte, daß man die Vaseline aus dem Schrank holen mußte, wenn man als geistig gesunder Trottel angesehen werden wollte, und daß man sich unters Volk mischen mußte, das, wenn es nicht gerade in der Finsternis kopulierte, mit verbranntem Hirn und voll behaartem Sack aufs Geratewohl durch die Gegend irrte.
    Er sah sich, wie er Anaïs, diese arme Fettsau, mit Fußtritten aus dem Auto warf, in einer Kurve zum Beispiel, und ihr die Finger zerquetschte, damit sie die Autotür losließ.
    »Sex ist keine zwingende Notwendigkeit«, sagte er zu ihr. »So seltsam dir

Weitere Kostenlose Bücher