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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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verbissen ins Kreuzfeuer, bombardierte ihn mit skeptischen Fragen und setzte ihn unter Druck, um sich selbst des Drucks zu entledigen, der ihr wie ein Kloß in der Kehle steckte.
    Und so hatte sie das bißchen Sympathie, das er ihr entgegengebracht hatte, inzwischen verloren – und falls noch ein Hauch davon existiert haben sollte, war auch dieser heute endgültig verschwunden.
    »Was würdest du denn sagen, wenn ich in deinen Sachen wühlen würde? Dann würdest du mir als erste an die Gurgel springen. Als erste, hörst du?«
    Wenn Anaïs auf Gewalt verzichtete und nicht gerade innerlich kochte, wenn sie genug Stoff geraucht hatte und stillschweigend zugab, daß auch sie nicht ohne Makel war, schüttelte sie schließlich den Kopf und wandte den Blick ab.
    Sie wußte, daß auch sie einen Teil der Verantwortung trug. Sie hatte sich das Haar buchstäblich büschelweise ausgerissen, als sie jenen verfluchten Abend im Geist wieder an sich vorüberziehen ließ. Sie hatte in ihrer Rolle derart versagt, ihre Aufgabe derart vernachlässigt, als sie Lisa in jenem Zustand weggehen ließ. Evy hatte behauptet, seine Schwester sei wie ein Stein versunken. Brüllend wie ein verletztes Tier hatte Anaïs sich büschelweise die Haare ausgerissen, um sich selbst dafür zu bestrafen, daß sie der einzigen Aufgabe, die ihr in ihrem tristen, elenden Dasein von Bedeutung war, nicht gerecht geworden war. Es war übrigens noch gar nicht so lange her, daß die Haare nachgewachsen waren. Wenn man nur ihren Kopf betrachtete, sah Anaïs gar nicht so schlecht aus.
    »Wenn du glaubst, daß ich inzwischen wieder schlafen kann, dann irrst du dich«, seufzte sie.
    Anscheinend hatte Lisas Tod mehreren Leuten den Schlaf geraubt. Wenn man ihnen Glauben schenken durfte, kamen sie nicht darüber hinweg – obwohl sie, wie man ihnen ansah, die Sache besser verdauten, als sie gedacht hatten –, aber sie vermieden es jetzt, ihre wenn auch nur sehr vagen Zweifel laut auszusprechen, da sie endlich begriffen und mehr oder weniger akzeptiert hatten, daß Evy nie wirklich sagen würde, was an jenem Tag in den frühen Morgenstunden auf dem See geschehen war.
    Anaïs war der Meinung, daß sie einen Schlußstrich unter die Ereignisse jenes Tages ziehen und in Kontakt bleiben sollten. Sie bedauerte ihren Wutausbruch. Mit dem Kinn wies sie auf einen häßlichen Subaru, der unter den Bäumen parkte, und schlug vor, bei Gelegenheit eine Spritztour zu machen. Um nichts in der Welt hätte es dieses Mädchen riskiert, die Brücken zu jenem Menschen abzubrechen, der wußte, was geschehen war.
    Als sie fort war lüftete er. Ein Rauchschleier, der in halber Höhe im Raum schwebte, wehte kurz zurück, ehe er verschwand, während die Scheinwerfer des Subarus auf dem Weg vom Hügel hinab durch das Laub streiften.
    Evy kehrte in einem Zustand angenehmer Benommenheit in den Keller zurück, um noch eine Stablampe zu holen. Er lächelte. Glaubte Anaïs vielleicht, daß sie das Recht hatte, mit ihrem Schwachsinn fortzufahren? Glaubte sie, daß die Vorwürfe, die sie ihm gemacht hatte, tatsächlich Hand und Fuß hatten und er es wirklich schlucken würde, daß ihr Schmerz darüber, daß sie sich ausgeschlossen fühlte und über die Existenz der besagten Tupperwaredose nicht informiert war, die einzige Begründung und ausreichende Rechtfertigung für die Gemeinheit war, die sie begangen hatte? Nein, nein, alles, was diese ausgeflippte Ziege damit bewirken wollte, das einzige Ziel, das sie mit dem ganzen Theater verfolgte, bestand darin, den Funken auf die eine oder andere Weise am Leben zu erhalten und um jeden Preis zu verhindern, daß die Sache im Dunkel des Vergessens verschwand. Evy war sich jetzt so gut wie sicher, daß er sie haßte, aber das änderte nichts. Das änderte absolut gar nichts.
    Durch die Kellerfenster drang der Geruch der Nacht herein. Das Sägeblatt schien brauchbar zu sein, und die Batterien der Stablampe funktionierten wie durch ein Wunder auch noch. Die Blechtruhen boten noch immer einen traurigen Anblick, sie strahlten etwas aus wie Gräber auf einem Friedhof.
    Das beste war, sie zu ignorieren. Zu vermeiden, eine Ewigkeit im Keller zu verbringen, das hatten alle begriffen, niemand hatte Lust, sich von einer Gefühlsaufwallung überwältigen zu lassen, die ihr Anblick hervorrufen konnte, niemand hatte Lust, diese Woge auszulösen oder in einer Tränenlache zu baden – ein Typ, der gekommen war, um die Neonröhren auszuwechseln, war sogar laut fluchend

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