Die Frühreifen (German Edition)
ist, gelinde gesagt, völlig neurotisch. Stell dich nicht dümmer, als du bist. Aber was soll’s. Du mußt endlich verstehen, daß Lisa nicht wieder aufersteht.«
»Erzähl nicht so einen Scheiß. Mit mir kannst du das nicht machen. Ich bitte dich. Nicht mit mir. Deine guten Ratschläge kannst du für dich behalten. Und wechsle nicht das Thema. Wechsle nicht das Thema, wie es dir gerade paßt, hörst du?«
Daraufhin blickte er seinem Vater fest in die Augen und hatte das Gefühl, daß diesem der Tod auflauerte, obwohl der blaue Himmel sein Gesicht mit einem Lichtkreis umgab. Andrés Kopf war der prallen Sonne ausgesetzt.
»Du solltest nicht ohne Hut herumlaufen«, sagte Richard. »Das ist wirklich kindisch. Wen willst du eigentlich damit beeindrucken?«
»Auf jeden Fall würde ich gern wissen, was deine Frau darüber denkt. Ich würde gern Laures Meinung dazu hören.«
»Dann frag sie doch. Und frag nicht mich. Und setz deine Nachforschungen fort. Am besten tauschst du mit dem anderen Idioten Informationen aus. Du brauchst ihn nur heute abend zum Auto zu begleiten und ihm zu schwören, du würdest einen Scheck für die Waisenkinder von Polizeibeamten ausstellen.«
Als Rose aus dem Laden kam, starrte sie die beiden groß an.
»Kabbelt ihr euch immer noch? Ist das möglich?«
Richard spürte plötzlich, wie ihn ein leichter Schwindel ergriff, der sich in einen Brechreiz verwandelte. Unverzüglich beschimpfte er sich innerlich als Heulsuse, als Tunte, als Drecksau, als Jammerlappen, und dadurch gelang es ihm, diese Belastungsprobe zu überstehen, diesen Schwächeanfall zu überwinden, der sie alle drei in eine peinliche Lage versetzt hätte.
»Ich habe ihn nur gewarnt«, erklärte André schließlich. »Ich habe versucht, deinem Sohn mit meinen Beobachtungen einen Dienst zu erweisen. Ich hab’s nur gut gemeint, wie mir scheint.«
»Was erzählst du da?« sagte Richard mit einem höhnischen Lachen. »Nie und nimmer. Das nennst du gut gemeint ?«
Er hatte nie den Tag vergessen, an dem sein Vater ihm ins Gesicht gespuckt hatte. Es hatte keine Zeugen gegeben, das war ihr kleines Geheimnis. Richard erholte sich damals gerade von seiner zweiten Überdosis, und André wartete darauf, daß er wach wurde, hatte sich in dem Zimmer häuslich niedergelassen, klammerte sich an die Armlehnen seines Stuhls und wartete mit zusammengebissenen Zähnen endlose Stunden darauf, daß sein Sohn die Augen öffnete. Noch zwanzig Jahre danach erinnerte sich Richard genau an diese Szene. Mit tränenfeuchten Augen war André von seinem Stuhl aufgesprungen. Das sollte nicht bedeuten, daß er den Kontakt zu seinem Sohn ganz abbrechen wollte oder sich in Zukunft weigern würde, ihm zu helfen, nein, aber er hatte etwas auf dem Herzen und mußte es loswerden. Richard hatte mehrere Papiertaschentücher gebraucht. Und mehrere Tage, um die Sache einzustecken.
Rose verschwand wieder in einem Geschäft. Die Türhüter waren Schwarze mit kahlrasierten Schädeln, in tadellos sitzenden Anzügen, kräftige Kerle mit Ohrhörern, und Richard sagte sich, daß diese Welt wirklich grotesk wurde, total beschränkt und immer uninteressanter, um es mal deutlich zu sagen.
Als Rose zurückkam, war sie entzückt. Sie hatte für Laure die gleiche phantastische kleine Handtasche aufgetrieben, die Sarah Jessica Parker in der letzten Saison über der Schulter hängen hatte. Sie kehrten zum Porsche zurück und fuhren zu den Filmstudios.
André und Rose hatten eine Schwäche fürs Kino, für Schauspieler, für Premieren und für Feste, auf denen man bekannte Gesichter sah, also genau das Milieu, das Richard und Laure in ihren glanzvollen Zeiten zu meiden versucht und dem sie sich heute wieder unverzüglich angeschlossen hatten, um nicht in die düstere, eisige interplanetare Leere katapultiert zu werden, die den etwas zu ungeselligen Naturen vorbehalten war – Leuten, die man letztlich immer hereinlegte und mit dem Schreiben von Drehbüchern beauftragte, nicht etwa zur Strafe, sondern um ihnen einen Dämpfer zu versetzen, damit sie endlich lernten, sich bestimmten Regeln im Leben zu unterwerfen.
Vor allem Schriftsteller und Frauen, die sich nicht vögeln ließen, waren davon betroffen, und innerhalb dieser beiden Kategorien gab es nicht viele Beispiele für einen glücklichen Ausgang, für einen Sieg des Guten über das Böse oder des Schönen über das Häßliche.
Seit einigen Tagen hatte Richard die Arbeit an seinem Drehbuch unterbrochen und versuchte sich
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