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Die Frühreifen (German Edition)

Die Frühreifen (German Edition)

Titel: Die Frühreifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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würde, Richard dagegen legte das Handy hin und betrachtete seinen Sohn.
    Der sich nicht gerührt hatte. Der trotz dieses Anrufs der Polizei nicht mit der Wimper gezuckt hatte.
    »Na, was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte André Richard ungeduldig. »Willst du uns das sagen oder nicht?«
    An der von Blumen gesäumten Avenue des Ambassadeurs, zwischen dem Ernest-Hemingway-Kreisel und der Kathedrale, waren so viele Luxusboutiquen, daß André und Richard genügend Muße hatten, ihr Gespräch fortzusetzen, ohne daß sie befürchten mußten, Rose würde die Hand an die Kehle legen und sich plötzlich unwohl fühlen.
    Sie hatten zwar eine Vase aus einem Antiquitätenladen in Soho mitgebracht, aber sie wollte Laure außerdem noch etwas Persönlicheres schenken, um die Beziehung zu ihrer Schwiegertochter, die sie enger und tiefer schätzte, als sie in Wirklichkeit war, zu pflegen.
    Sie hatte bei Gucci eine Kaschmirstola entdeckt, aber zu einem horrenden Preis, setzte daher die Suche fort und nahm zu diesem Zweck bei schönem, windigem Wetter und einem etwas beunruhigenden Himmel mit strahlendem Licht ihren Mann und ihren Sohn ins Schlepptau.
    André hatte mit Bestimmtheit erklärt, daß sich das Verhältnis zu seinem Sohn in dem Augenblick verschlechtert habe, an dem sich dieser Hals über Kopf in Drogen gestürzt hatte, aber Rose wußte ganz genau, daß alles an dem Tag angefangen hatte, als Richard sich im Alter von etwa zehn Jahren geweigert hatte, seinem Vater auf dem Schulweg die Hand zu geben.
    Sie hob ein paar Halstücher hoch, musterte eine kleine Handtasche oder ein Paar Pumps für sich selbst, warum nicht, aber sie ließ die beiden nie aus den Augen, sah, wie sie sich zueinander beugten und ihre Auseinandersetzung auf dem Bürgersteig hinter dem Schaufenster fortsetzten. Tatsächlich dauerte dieser Kampf schon zwanzig Jahre.
    Richard sagte: »Ich habe meinem Sohn erlaubt, sich die Freunde zu suchen, die er will, und dulde es nicht, daß du daran etwas änderst. Ich hoffe, das ist dir klar. Es gibt nur eins, wozu du in diesem Haus berechtigt bist, nämlich die Gartenmöbel umzustellen, und selbst das ist schon fast zuviel !« Woraufhin André erwiderte: »Es tut mir leid, wenn ich dir die Augen öffnen muß. Es tut mir leid, wenn ich dir ständig die richtige Interpretation der Welt liefern muß. Weißt du, ich gäbe viel darum, mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen zu müssen. Aber ich glaube, du hast jegliches Gespür für Gefahr verloren. Du erkennst die Zeichen nicht mehr, das ist alles.«
    Tief in seinem Inneren fragte sich Richard, ob er ebenso gemein zu Evy war wie sein Vater zu ihm. Das war eine sehr beängstigende Frage. Denn sosehr man sich auch anstrengte, man war sich nie sicher, ob man nicht sein Kind erdrückte. Aber Scherz beiseite, sagte er sich, es war doch etwas Wahres dran. So lächerlich war die Sache auch wieder nicht.
    An der Kreuzung der Avenue des Ambassadeurs und der Rue Saint-Georges hatte Richard solche Magenschmerzen, daß er das Gesicht verzog. Er verzog das Gesicht, weil er in diesem Augenblick eigentlich damit hätte beschäftigt sein müssen, zu testen, ob er als Schriftsteller noch etwas taugte, wie er es sich nach dem Gespräch mit Gaby Gurlitch geschworen hatte. André hielt ihn am Ärmel fest und faselte vor dem Schaufenster von La Perla immer weiter. Aber Richard hörte ihm nicht mehr zu, plötzlich dachte er an dieses Mädchen, das ihm solche Komplimente über seine Bücher gemacht hatte – vor zwanzig Jahren hatte man ihn vergöttert, und der Schriftsteller in ihm hatte das wahnsinnig gern gemocht. Im übrigen wohnte Gaby Gurlitch gar nicht weit von hier, wenn er sich recht erinnerte.
    Und diese beiden da machten ihn verrückt. Ganz ehrlich. Eines Tages hatte er geträumt, daß er diese beiden hinten in der Garage verscharrte, nachdem er sie eigenhändig umgebracht hatte, und so abscheulich die Sache auch war, er war mit einem breiten Lächeln auf den Lippen aufgewacht.
    Er war gezwungen, sich innerlich einen Schutzpanzer zuzulegen, wenn er durchhalten wollte. Er blickte seinen Vater ziemlich benommen an und sah, wie dieser ständig schwafelte und auf dem Bürgersteig gestikulierte wie ein Gespenst, wie ein beunruhigender Lichtblitz, hörte ihn jedoch nicht. Nur ab und zu war der Ton wieder da.
    »Dieses Mädchen ist völlig neurotisch«, erklärte André, während er sich auf eine Bank setzte – Rose war in einer Parfümerie verschwunden. »Dieses Mädchen

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