Die Frühreifen (German Edition)
anderes ausdenken.«
Evy nutzte die Gelegenheit, um unauffällig seine Nachrichten abzuhören und seinen Kaffee zu trinken. Richard und André stritten sich über seinem Kopf, aber Richard hatte nie den erforderlichen Mut besessen, um sich ernsthaft mit seinem Vater anzulegen, und daher war es ziemlich uninteressant, auf den Ausgang ihrer Auseinandersetzung zu warten – es sei denn, man hatte eine etwas abartige Vorliebe für Pathetisches und total Hirnrissiges.
Gaby sagte ihm, er sei ein Engel. Währenddessen stritten sich Richard und André über ihn. Zum Glück hatte sich bei den Crozes die automatische Berieselungsanlage in Gang gesetzt – die eine psychologische Linderung ihres Juckreizes und ihres Nesselfiebers bewirken sollte – und übertönte weitgehend den Inhalt des Wortwechsels. Das Klicken des Schwinghebelregners erfüllte die Luft.
In groben Zügen ging es darum, daß Richard nichts von diesem völlig überholten alten Scheiß hören wollte, während André höhnisch über die Angriffe seines Sohns auf einen Beruf lachte, den er sein ganzes Leben lang ausgeübt hatte, Psychoanalytiker, und von dem die ganze Familie nicht gerade schlecht gelebt hatte, und Richard, dieser undankbare Rotzbengel, als erster – Psychoanalytiker, sollte er sich vielleicht dafür schämen?
In diesem Augenblick kam Rose hinzu.
»Ich habe einen Polizeiinspektor an der Strippe«, verkündete sie ihnen.
Sie war noch nicht vollständig angezogen. Auf jeden Fall trug sie nur einen flauschigen Morgenrock, und ihre Brüste, obwohl schon reichlich erschlafft, waren in dem Ausschnitt deutlich zu erkennen. Wenn sie nicht blond gewesen wäre, sagen wir es ganz deutlich, hätte man die Haare ihrer Muschi durch den Stoff ihres Negligés hindurch gesehen, so hauchzart, duftig und leicht war er. Ihrem Alter in keiner Weise angemessen.
»Zum Donnerwetter! Rose!« zischte André leise – Gedankenlosigkeit oder reiner Exhibitionismus, darüber hatte er sich nie Klarheit verschaffen können.
Sie betrachtete ihren Mann, als handele es sich um eine Mücke hinter einer Doppelverglasung.
»Inspektor Chose ist am Apparat«, erklärte sie und warf sich dabei in Pose.
Völlig richtig. Inspektor Chose wollte Richard kurz sprechen. Aber dieses Mal war es nicht so ernst wie beim letzten Mal, sagte er unverzüglich. Richard erinnerte sich noch gut an den jungen, etwas stumpfsinnigen Typen, mit dem sie am Tag nach Lisas Tod zu tun gehabt hatten, er konnte ihn sich gut vorstellen, wie er mit ausdruckslosen Augen durch die blassen Fenster seines Büros mit Blick auf ein Parkhaus mit roten Backsteinwänden und spärlichen Grasbüscheln in den Rissen im Beton den Horizont betrachtete.
In Brillantmont habe es im Verlauf der Nacht Ärger gegeben, Diebstahl, Einbruch, so etwas, nichts Ernstes, aber immerhin. Eine Flasche Benzin sei seltsamerweise mitten im Hof verbrannt und habe die Pflastersteine geschwärzt. Die Polizei könne nur Vermutungen anstellen. Aber sie schließe nichts aus, denn die Anzahl der Verrückten nehme jeden Tag zu, murmelte der Inspektor.
Er würde Evy gern zwei oder drei Fragen stellen, reine Routine. Er fragte, ob er gegen Abend vorbeikommen könne, denn er habe natürlich vollstes Verständnis dafür, daß Laure Trendel mitten in ihren Dreharbeiten natürlich nicht gerade erfreut darüber wäre, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie absolute Ruhe brauche, zusehen zu müssen, wie man ihr die Bude einrannte, ach, diese Frau, diese außerordentliche Schauspielerin, aber er müsse eben seine Arbeit tun, auch wenn es nicht immer sehr angenehm sei.
Chose hätte fast ein Auge bei dieser Geschichte verloren. Im letzten Winter war der Himmel einen ganzen Monat lang weiß geblieben, und die Sache hatte sich auf der Türschwelle abgespielt, er hatte geklingelt, das Dienstmädchen hatte geöffnet und war dann ins Haus gegangen, um Madame zu holen, und anschließend strömte ihm das Blut über die Wange, aber er hatte nichts gesagt, sondern sie nur an den Handgelenken gepackt und festgehalten, während das Blut auf das versiegelte helle Parkett tropfte.
Eine unvergeßliche Frau, zugleich so unnahbar und so nah. Eine seltsame, komplizierte Familie. Und dieser Junge, der sich, um es gelinde auszudrücken, nicht eben hilfsbereit gezeigt hatte.
Etwas ratlos sagte sich Chose jedoch, daß ihm das Vergnügen, Laure Trendel wiederzusehen – inzwischen hatte er DVD s von allen ihren Filmen –, wohl erneut durch die Umstände verdorben werden
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