Die Frühstücksfreundin
Bett. Er folgt ihrem Beispiel, möchte auch seine Schuhe loswerden, kann es aber nicht in ihrer Umarmung, will auch nicht unhöflich sein. Unvermittelt gibt sie ihn frei. Auch sie muß an ihre Garderobe denken, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.
»Ich will Sie nur fühlen«, sagt sie.
Das hilft ihm aus den Schuhen, aus allem, was da hinderlich sein könnte und nicht verknittern darf. Noch ein Blick auf die Uhr, bevor er sich ihr zuwendet, mit Weihnachtsbubenaugen. Ihre Fühler sind ihm entgegengestreckt. Sie war nicht untätig, liegt auf dem aufgeschlagenen Bett, über das sie ein orangefarbenes Frotteetuch gebreitet hat, dem eingesprühte Frische entströmt. Am Boden daneben im offenen Schreibmaschi-enköfferchen, ohne Maschine — eine große Seife, rund wie die Erde. Die Konfrontation mit der großen Welt erschreckt ihn.
»Sie werden vielleicht enttäuscht sein. Ich bin überhaupt nicht erfahren.«
»Halten Sie mich fest, Robert.«
Das geht jetzt ungleich besser. Beide fühlen sich aneinander heimisch; überwältigt schließt er die Augen, als solle sein Gewissen nicht sehen, was er da macht. Fremdheit wandelt sich in Vertrautheit, noch ein letzter Blick auf die Uhr. »Robert, Sie!«
Merkwürdig. In dieser Zweiersituation regt ihn die dritte Person an. Eine Folge bürgerlicher Erziehung, vielleicht. Doch die hindert ihn jetzt nicht mehr. Robert versucht nicht zu sein, wie er glaubt, daß es erwartet wird. Die befürchtete globale Erfahrenheit schwindet, weicht einer Übereinstimmung, die zur Lösung drängt, geschwind, ohne Bewältigungsschwierigkeit. Schön die Bewegung, wie sie die Arme zurücklegt und ihn anlächelt. »Ich bin noch nie glücklich gewesen. Seit unserer letzten Inkarnation.«
»Du bist eine wunderbare Frau.«
Zärtlich legt sie ihm einen Finger auf die Lippen. »Wir bleiben beim Sie. Wir wollen nichts zerstören.«
Das Wort alarmiert seine Moral. Er küßt den Finger, während sie weiterspricht.
»Weil wir nach außen nicht zusammengehören. Und das wird so bleiben, Robert. Es muß so bleiben. Ein unbedachtes Du könnte uns verraten. Und ich möchte dich nicht mehr verlieren. Du. Verstehen Sie das?« Langsam kehren ihre Arme zurück, ihre Finger streichen durch sein Haar, und mit einem Anflug von Ironie in den grauen Augen sagt sie:
»Jetzt hab’ ich keine Angst mehr.«
4. Klare Abmachung
Erst beim nächsten Frühstück kam die Euphorie, als sie einander gegenübersaßen mit Tiedemann und den anderen Frühparkern. Sie genossen ihr Geheimnis, ohne den Fehler zu machen, an dem Erfahrene sofort erkennen, daß hier Beziehungen bestehen: einander besonders neckisch zu necken. Wie gewohnt verabschiedete sich Sidonie zu ihrem Spaziergang und nahm Tiedemann mit. Demnächst wird sie dem einen oder anderen Herrn die Ehre geben, und sei es nur, daß sie sich bis zur Bank begleiten läßt. Erbaut ist Robert davon nicht. Aber Sidonie macht das schon richtig, im gemeinsamen Interesse.
Eines darf nicht passieren, fällt ihm ein, als er ihr nachschaut: Daß man sie zusammen ins Hotel gehen sieht. Und er freut sich über die unerwartete Hilfe. Über Nacht hat sich neben dem Eingang eine Baustelle etabliert, mit Bretterzaun bis vor zum Straßengraben.
Es soll wohl sein.
Nicht alles soll sein. In der Firma ist Robert der schwierige Fall entzogen worden, zu dem er beim Chef seine Ratschläge vorgetragen hat. Das schmerzt ihn. Was hat er falsch gemacht? Wirkt sich sein Privatleben bereits auf die Arbeit aus? Ist das ein Wink, sich noch mehr einzusetzen und allen Ablenkungen zu widerstehen?
Immerhin blockierte der Rückschlag andere Gedanken und das war hilfreich. Denn gestern abend schaute Robert mit anderen Augen in die Augen seiner Kinder. Ihm jedenfalls kam es so vor. Jennifer und Martin merkten davon nichts. Sie spürten nur, daß sie sich beim Pappi mehr herausnehmen konnten als sonst, und nützten die Gelegenheit mit Übermut. Als es Scherben gab — eine Vase aus Franziskas Elternhaus, endlich — übernahm sie den Gegenpart, sprach ein Machtwort und schickte die beiden in ihre Zimmer. Sie wollte sowieso mit Robert reden. Seine Stimmung war ihr nicht entgangen.
»Vielleicht hast du den Mund beim Chef zu voll genommen und das ist jetzt die Folge«, befürchtete sie. Da ist Sidonie hilfreicher, am übernächsten Morgen. »Der Chef hat den Fall selber in die Hand genommen«, sagt sie. »Bester Beweis, wie wichtig ihm Ihre Warnung war.«
Sie liegen auf dem orangefarbenen Frotteetuch —
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