Die fünfhundert Millionen der Begum
Krankenpflegerinnen zu betrachten, welche die Verwaltung zur Verfügung der Bewohner bereit hält. Diese sorgfältig ausgewählten Frauen leisten den Aerzten eine gar nicht zu unterschätzende Hilfe. Sie treten in den Schoß der betroffenen Familien, ausgerüstet mit den so nothwendigen und gerade im Momente der Gefahr oft schmerzlich vermißten praktischen Kenntnissen, und erfüllen neben der Aufgabe, den Kranken zu pflegen, auch die andere, der Verbreitung der Krankheit selbst entgegenzuwirken.
Es würde viel zu weit führen, wollte man hier alle hygienischen Verbesserungen aufzählen, welche die Gründer der neuen Stadt daselbst eingeführt haben. Jeder Bewohner erhält bei seiner Ankunft ein kleines Büchlein eingehändigt, das ihm die wichtigsten Grundregeln einer wissenschaftlich geordneten Lebensweise in einfacher leichtverständlicher Sprache erläutert.
Er ersieht daraus, daß das möglichst vollkommene Gleichgewicht aller Functionen eine Grundbedingung der Gesundheit bildet; daß den Organen des Körpers Arbeit und Ruhe gleich nothwendig sind; daß das Gehirn der Ermüdung ebenso bedarf, wie die Muskeln; daß neun Zehntel aller Krankheiten von einer durch die Luft oder durch Nahrungsmittel verbreiteten Ansteckung herrühren. Er wird um seine Wohnung und seine Person also so viel als möglich »Quarantäne-Anstalten« errichten. Die Enthaltung von aufregenden Giften (Spirituosen und dergl.), tägliche Körperübungen, gewissenhafte Durchführung auch geistiger Arbeit, der Genuß reinen Wassers, gesunden Fleisches und leichter, einfach zubereiteter Gemüse, eine regelmäßige Nachtruhe von sieben bis acht Stunden, das ist so etwa das ABC der Gesundheit.
Während wir von den durch die Begründer aufgestellten Grundzügen ausgingen, haben wir von dieser eigenartigen Stadt unwillkürlich wie von einem in sich vollendeten Gemeinwesen gesprochen. Und in der That erhoben sich, nachdem nur die ersten Gebäude errichtet waren, die weiteren wie durch Zauberschlag aus der Erde. Man muß den »Far-West« (fernen Westen) selbst besucht haben, um dieses wunderbare Emporblühen der Städte zu verstehen. Im Januar 1872 noch eine Einöde, zählte die erwählte Ansiedelungsstelle 1873 schon sechstausend Gebäude; im Jahre 1874 standen neuntausend vollendet.
An diesem unerhörten Erfolge hat freilich auch die Speculation ihren Antheil. Auf dem ausgedehnten und anfangs ziemlich werthlosen Terrain wurden die Häuser gleich in Massen erbaut und dann zu sehr mäßigen Preisen und unter annehmbaren Bedingungen vermiethet. Die vollständige Zollfreiheit, die politische Unabhängigkeit des kleinen, isolirten Gebietes, der Reiz der Neuheit und die Milde des Klimas lenkten die Auswanderung hierher. Zur Zeit zählt France-Ville schon hunderttausend Einwohner.
Von größerem Werthe und für uns von alleinigem Interesse erscheint die Thatsache, daß dieses hygienische Experiment als vollkommen geglückt zu betrachten ist. Während die jährliche Sterblichkeit in den meistbegünstigten Städten Europas und der Neuen Welt nie merkbar unter drei Procent herabgegangen ist, erreicht der fünfjährige Durchschnitt für France-Ville nur anderthalb Procent. Auf die Höhe dieser Ziffer wirkte auch noch eine kleine Sumpffieber-Epidemie, welche ganz im Anfange ausbrach. Die Sterblichkeit des letzten Jahres z.B. erreicht nur ein und ein Viertel Procent. Eine andere gewichtige Erscheinung ist die, daß mit sehr wenigen Ausnahmen alle registrirten Todesfälle von specifischen, meist angeerbten Erkrankungen herrühren. Zufällige Erkrankungen waren dagegen ungemein selten, beschränkter und minder gefährlicher Natur, als an irgend einem anderen Orte. Eigentliche Epidemien kamen gar nicht zur Beobachtung.
Wir werden die weitere Entwickelung dieses Versuches im Großen stets mit Interesse verfolgen. Es wäre vorzüglich werthvoll, festzustellen, ob der Einfluß einer wissenschaftlich geordneten Lebensweise auf eine ganze Generation, oder lieber auf mehrere einander folgende Generationen wohl im Stande wäre, auch angeerbte krankhafte Anlagen aufzuheben.
»Eine solche Hoffnung erscheint gar nicht zu kühn, schreibt einer der Begründer dieser wunderbaren Colonie, und wie weittragend müßten in diesem Falle die Folgen davon sein! Die Menschen würden bis zum neunzigsten oder hundertsten Jahre leben und, wie die meisten Thiere, wie die pflanzlichen Organismen, nur in Folge von Altersschwäche eingehen!«
Ein solcher Traum hat wirklich viel
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