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Die fünfhundert Millionen der Begum

Die fünfhundert Millionen der Begum

Titel: Die fünfhundert Millionen der Begum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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geworden. Diese »Erziehung« verdankte er einem von ihm gemietheten englischen Groom, der ihn durch den Reichthum seiner Fachkenntnisse vollkommen zu beherrschen verstand.
    Schneider, Sattler, Schuhmacher beanspruchten seine Morgenstunden. Die Abende gehörten den kleinen Theatern und den funkelnagelneuen, an der Ecke der Rue Trouchet eröffneten Gesellschaftssälen, welche Octave deshalb bevorzugte, weil er hier Leute fand, die wenigstens seinem Gelde die Ehren erwiesen, die seine Verdienste ihm doch niemals errungen hätten. Die Welt hier erschien ihm als das Ideal der Vornehmheit. Auffallender Weise zeigte die im Vorzimmer angebrachte, kostbar eingerahmte Liste der Besucher nur ausländische Namen. Vielsagende Titel wucherten hier wie Unkraut, so daß man beim Durchlesen derselben eher geglaubt hätte, im Vorzimmer eines heraldischen Hörsales zu verweilen. Beim weiteren Eindringen mußte man sich dagegen unwillkürlich in eine lebende ethnologische Ausstellung versetzt glauben.
     

    »Meinen Sie, Colonel, daß wir im Stande sind, Widerstand zu leisten?« (S. 134.)
     
    Alle großen Nasen und gelben Teints der Alten und der Neuen Welt schienen sich hier ein Stelldichein gegeben zu haben. Diese kosmopolitischen Gestalten erschienen zwar alle in höchst sorgfältiger Garderobe, doch verrieth dabei die sichtbare Bevorzugung hellfarbiger Stoffe das ewige Bestreben der schwarzen und gelben Racen, sich äußerlich den »Bleichgesichtern« möglichst ähnlich zu machen.
    Octave Sarrasin erschien inmitten dieser Zweihänder wie ein kleiner Gott. Man citirte seine Worte, copirte seine Cravaten und erkannte seine Urtheile als Glaubensartikel an. Betäubt von solchem Weihrauchdufte, bemerkte er selbst dann gar nicht, daß er bei jeder Gelegenheit stets sein Geld verlor. Einige Mitglieder des Clubs, geborne Orientalen, schienen für sich einen gewissen Anspruch auf die Nachlassenschaft der Begum zu erheben. Jedenfalls wußten sie nicht zu wenig davon auf langsamem, aber sicherem Wege in ihre Taschen überzuleiten.
    Unter diesen neuen Verhältnissen hatten sich die alten Bande zwischen Octave und Marcel bald gelockert. Kaum wechselten die beiden Freunde in langen Zwischenräumen einmal einen Brief miteinander. Welche Gemeinsamkeit bestand noch zwischen dem emsigen Arbeiter, der nur nach dem Ziele strebte, seine geistige Entwicklung nach allen Seiten zu vervollkommnen, und dem auf seinen Reichthum stolzen, hübschen jungen Mann, dessen Kopf einzig mit Clubgeschichten und Stallmemoiren erfüllt war?
    Wir wissen, daß Marcel die Hauptstadt Frankreichs verließ, zuerst, um die Maßnahmen des Herrn Schultze zu beobachten, der eben Stahlstadt, eine Rivalin von France-Ville, auf dem nämlichen unabhängigen Gebiete der Vereinigten Staaten gegründet hatte, und später, um in den Dienst des Stahlkönigs einzutreten.
    Octave führte sein unnützes Leben voller Zerstreuungen zwei Jahre hindurch. Endlich begab er sich, aller jener hohlen Dinge herzlich müde, nach Vergeudung einiger Millionen wieder zu seinem Vater, ein Schritt, der ihn noch in der zwölften Stunde vor dem Untergange – dem physischen weniger als dem moralischen – rettete. Jetzt wohnte er also in France-Ville, in dem Hause des Doctors.
    Seine Schwester Jeanne hatte sich, ihrem Aeußern nach zu urtheilen, zur herrlichen Jungfrau ausgebildet. Jetzt neunzehn Jahre alt, zeigte sie nach vierjährigem Aufenthalte in dem neuen Vaterlande alle hervorragenden Eigenschaften der Amerikanerin in Verbindung mit der Grazie der Französin. Ihre Mutter äußerte manchmal, daß sie erst seit dem stündlichen Zusammenleben mit der Tochter den Reiz eines innig vertrauten Umgangs kennen gelernt habe.
    Frau Sarrasin selbst war seit der Heimkehr ihres verlornen Sohnes, ihres Kronprinzen, des Kindes ihrer Hoffnung, so vollkommen glücklich, als man es hiernieden überhaupt sein kann, denn sie fühlte sich als Theilnehmerin aller der Wohlthaten, die ihr Mann, Dank seinem unermeßlichen Reichthume, austheilen konnte und auch wirklich austheilte.
    Am heutigen Abend hatte Doctor Sarrasin zwei seiner besten Freunde bei Tische, den Colonel Hendon, ein altes Ueberbleibsel vom Secessionskriege her, der damals einen Arm bei Pittsburg und ein Ohr bei Seven-Oaks zurückließ, seine Partie Schach aber noch ebensogut wie jeder Andere spielte, und dazu Herrn Lentz, den Oberleiter des Unterrichtswesens in der neuen Stadt.
    Die Unterhaltung bewegte sich um einige städtische Verwaltungs-Angelegenheiten,

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