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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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hätte. Wir waren einmal bei ihm im Gottesdienst, aber wirklich nur einmal. Es war so laut! Ich habe noch nie so viele Leute auf einmal in einer Kirche gesehen, jedenfalls nicht bei einer gewöhnlichen Abendandacht. Sie müssen extra angereist sein, wie Fußballfans. Manche hatten sogar Gitarren dabei. Und die Kerzen – all diese Kerzen. Na ja, ich habe nichts gegen so was, aber für mich ist das nichts. Gehen Sie in die Kirche, Mrs.   Thorogood?»
    «Äh   … nein. Nicht direkt.»
    «Und Ihr Mann? Was macht Ihr Mann gleich beruflich? Ich habe es leider vergessen   …»
    «Er ist Künstler, Illustrator. Er macht vor allem Buchumschläge.»
    «Bryan hat viel gelesen», sagte Lizzie Wilshire abwesend. «Er hatte manchmal Phasen, da ist er für Tage in seinem Arbeitszimmer verschwunden, um zu lesen.» Ihre Augen wurden feucht; Betty musste an weichgekochte Eier denken.
    «Kann ich vielleicht irgendwas für Sie tun, wenn ich schon mal hier bin?», fragte sie. «Staubsaugen, etwas putzen, oder soll ich Ihnen irgendwas besorgen? Sie fahren nicht selbst, oder?»
    «Bryan wollte nicht, dass ich Auto fahre. Er hat immer gesagt, die Straßen auf dem Land sind besonders gefährlich, wegen der Traktoren und der ganzen Anhänger. Und wir haben hier jemanden, Mr.   Gibbins, der eine Art Teilzeit-Taxi hat. Er fährt mich zweimal die Woche nach Kington und trägt mir die Einkäufe. Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen, Liebchen. Sie haben ja selbst genug zu tun, wenn Sie in dieses alte Haus einziehen wollen.»
    «Wir sind letzte Woche schon eingezogen.»
    Mrs.   Wilshire sah sie mit offenem Mund an. «Aber es war eine Bruchbude, als   –»
    Sie unterbrach sich, wahrscheinlich war ihr wieder eingefallen, dass der von ihr beauftragte Makler Begriffe wie ‹charaktervoll› und ‹originell› vorgezogen hatte.
    «Es gibt tatsächlich noch ein paar Probleme», sagte Betty heiterer, als ihr zumute war, «aber es regnet immerhin nicht rein. Jedenfalls in den meisten Zimmern nicht. Mrs.   Wilshire, gibt es außer dem Pfarrer noch jemanden, dem Ihr Mann das Kästchen gegeben haben könnte – oder dem er vielleicht davon erzählt hat?»
    Mrs.   Wilshire schüttelte den Kopf. «Er hat das Ding hierhergebracht, um es sich genauer anzusehen, aber er hat es nicht lange behalten, das weiß ich, weil ich es nicht im Haus haben wollte – dreckig, wie es war. Tut mir leid, ich erinnere mich nicht genauer, aber   …»
    Betty seufzte. «Lassen Sie mich doch wenigstens die Tassen abwaschen.»
    «Nein, Liebchen, das schaffe ich schon.» Sie balancierte ihre Tasse in Richtung Tisch, aber sie kippte auf der Untertasse um, und etwas Tee tropfte vom Rand des Tisches auf den Teppich. Betty zog ein paar Tücher aus einer Box und kniete sich auf den Boden.
    Während sie auf dem Teppich herumwischte, blickte sie zu Lizzie Wilshire hoch. Jahre des Kummers hatten sich in ihrem Gesicht verdichtet wie in Gesteinsschichten. Und als sie Lizzie aus diesem ungewöhnlichen Blickwinkel sah, spürte sie plötzlich ihre Aura. Sie war beschädigt, ihre Schwingungen waren ungleichmäßig. Diese Frau brauchte Hilfe.
    Betty hob die Tasse und die Untertasse auf. «Wird Ihre   … Arthritis behandelt?»
    «Oh ja, Dr.   Coll macht das. Kennen Sie Dr.   Coll?» Betty schüttelte den Kopf. «Dr.   Coll sagt, ich brauche bald eine neue Hüfte und vielleicht ein neues Knie. Aber dafür müsste ich nach Gobowen, das ist fast hundert Kilometer weit weg! Er hat mir verschiedeneTabletten gegeben. Leider kann man keine neuen Hände kriegen, aber Dr.   Coll ist wunderbar. Er   –»
    «Steroide?»
    «Kortison, glaube ich. Und irgendwas anderes, es sind verschiedene Pillen. Die muss ich zweimal am Tag nehmen. Ich nehme sie noch nicht lange, erst seit Bryan gestorben ist   … Es ist so viel schlimmer geworden, seit Bryan gestorben ist.»
    «Mrs.   Wilshire, nehmen Sie mir die Frage nicht übel, aber haben Sie schon mal   … eine Alternative ausprobiert? Etwas Ergänzendes?»
    «Sie meinen Kräuter oder so?»
    «Ja, so ähnlich.»
    «Da bin ich vorsichtig, meine Liebe. Man weiß ja nie genau, was man da nimmt, nicht wahr?»
    Betty trug die Tassen in die große Küche, deren dreifachverglaste Fenster den Raum eher fahl als hell erscheinen ließen.
    Bettys Mitleid war durchmischt mit Ärger. Lizzie Wilshire schluckte bedenkenlos jeden Tag einen Medikamentencocktail, der alle möglichen Nebenwirkungen haben konnte. Wie hatte diese Frau es zulassen können,

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