Die fünfte Kirche
Steg, den die Leute früher überqueren mussten, um zur Kirche zu kommen. Er war ziemlich wacklig, aber auch sehr malerisch. Vielleicht erklärte das sogar, warum die Kirche nicht mehr genutzt wurde. Der Steg war gut und schön, solange die Gemeinde zu Fuß aus dem Ort kam, aber als die ersten Autos in Radnorshire Einzug gehalten hatten … nicht mal die Damen vom Land hatten es wohl gemocht, auf einem Feld auf der falschen Seite des Hindwell-Bachs zu parken und mit Schlammflecken auf ihren Sonntagsstrümpfen in die Kirche zu kommen.
Aus der Ferne hörte Robin ein Fahrzeug näher kommen. Die Landstraße war mindestens anderthalb Kilometer weit weg. Wenn man also überhaupt Verkehrslärm hörte, war es mit ziemlicher Sicherheit Gareth Prosser in seinem Landrover – der bedeutendsteBauer der Gegend, Mitglied des Landrats und außerdem der Neffe der beiden alten Typen, denen St. Michael früher gehört hatte. Robin hätte es gut gefunden, wenn er mal auf ein Bier vorbeigekommen wäre, aber Gareth Prosser nickte ihm immer nur zu, lächelte nie und verlangsamte nicht mal sein Tempo.
Es brauchte eben seine Zeit, um die Leute vom Land kennenzulernen.
Aber das Fahrzeug klang nicht klapperig genug für Prossers Landrover, und für die Schrottkarre seines Sohnes brummte es nicht laut genug. Für Betty war es eigentlich zu früh, aber – wer weiß? – vielleicht hatte sie zu guter Letzt doch noch ihr Verlangen nach ihrem geliebten Ehemann entdeckt und konnte es kaum erwarten, an das zischende Feuer und in das Schlafzimmer mit den so wunderbar feuchten Wänden zurückzukommen.
Schön wär’s.
Robin kickte einen halben Ziegelstein in den Fluss und hielt sein Gesicht in den stürmischen Regen. Es würde wieder werden. Die Göttin würde zu ihr zurückkehren. Sie befanden sich nur gerade in der falschen Hälfte des Kreislaufs, das war alles. Es war einfach stressig, im Winter umzuziehen.
Jetzt konnte er das Fahrzeug sehen: Es war ein Cherokee-Jeep. Der Fahrer parkte im Hof und stieg aus. Robin starrte ihn an. Er schloss die Augen und murmelte: «Ach du Scheiße.»
Das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Das konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen.
«Aber an diese Dinge glauben wir ja nicht mehr, nicht wahr, Liebchen? An Hexen, meine ich.»
Wie, um alles auf der Welt, hatte sich die Witwe eines Mannes, der für die Spezialeinheit gearbeitet hatte, diese kindliche Unschuld bewahren können? Betty lächelte, nahm die Porzellantasse samt Untertasse von ihrem Knie und strich ihren langen Rockglatt. Jeans wären das falsche Signal gewesen, außerdem hatte sie sowieso kein sauberes Paar mehr im Schrank.
Und Sauberkeit war hier von größter Wichtigkeit. Es war wie in einem Vorort-Museum, es standen sogar mehrere, penibel abgestaubte Kunstgewerbe-Objekte herum. Betty vermutete, dass die Frau des Majors heimlich darauf gehofft hatte, dass die Renovierung von St. Michael niemals abgeschlossen werden und einfach für lange Zeit ein Hobby ihres Mannes bleiben würde, sodass sie hier in New Radnor bleiben konnten – das lag zwar am Rande der Wildnis, war mit seiner breiten Hauptstraße, seinen gepflegten Cottages und seinem kleinen Laden aber sehr hübsch. Und anders als in Old Hindwell war der Wald ein Stück weit entfernt.
Mrs. Wilshire sagte: «Dieser kleine Kasten. Er war so albern – und unangenehm. Und nicht mal besonders alt.»
«Ungefähr von 1850, glaube ich.»
«Oh», sagte Mrs. Wilshire, «haben Sie noch einen gefunden?»
«Nein, ich meine denselben», sagte Betty geduldig. «Jemand hat ihn zurückgebracht, wissen Sie.»
«Aber wer sollte denn so was tun?»
«Das wissen wir auch nicht. Er lag einfach vor der Tür.»
«Wie merkwürdig.»
«Ja, es
war
merkwürdig, deshalb wüssten wir auch gern, wer das gemacht hat. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir sagen, wem Sie das Kästchen gegeben haben, als Sie es … weggegeben haben. Wissen Sie das zufällig noch?»
«Na ja, darum hat sich Bryan gekümmert. Bryan wusste immer, wo alles hingehört, wissen Sie.»
«Gab es vielleicht … ich weiß nicht, einen Historiker oder so, der sich dafür interessiert hat?»
«Hmm.» Mrs. Wilshire spitzte ihren kleinen Mund. «Da ist dieser Mr. Jenkins aus dem alten Buchladen in Kington. Aber der schreibt auch für die Zeitung, und Bryan war Journalisten gegenüberimmer sehr misstrauisch. Vielleicht hat er den Kasten dem neuen Pfarrer gegeben.»
«Oh.»
«Nicht, dass Bryan ihn besonders gemocht
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