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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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dass ihr Mann alle Entscheidungen für sie traf? Und jetzt lieferte sie sich Leuten aus, denen sie wahrscheinlich vollkommen egal war.
    Als Betty zurückkam, sah Lizzie Wilshire seelenruhig in die rote Glut des Ölkamins.
    «Werden Sie hierbleiben?», fragte Betty.
    «Ach, Liebchen, die Leute hier sind gute Menschen, wissen Sie   … Wenn man jung ist, zieht man nach Lust und Laune um, quer durchs Land, aber ich könnte nicht umziehen. Es würde mir Angst machen.» Mrs.   Wilshire blickte auf ihren Schoß hinunter. «Natürlich gefällt es mir nicht immer, besonders nachts. Das Haus ist so groß. So still.»
    «Könnten Sie nicht vielleicht ins Dorf ziehen, ins Zentrum?»
    «Ach, wissen Sie, hier bin ich Bryan so nah, er ist immer noch hier. Der Friedhof ist gleich um die Ecke. Es ist, als würde er auf mich aufpassen. Finden Sie das dumm?»
    «Nein.» Betty lächelte ihr aufmunternd zu. «Das ist überhaupt nicht dumm.»
     
    Als sie zum Auto ging, spürte sie eine starke Unruhe in sich. Dass sie diese unerwartete Ahnung von Mrs.   Wilshires beschädigter Aura gehabt hatte, deutete darauf hin, dass sie hatte herkommen sollen. Sie würde bald wiederkommen und ein paar Kräuter für Lizzies Arthritis mitbringen.
    Das wäre jedenfalls ein Anfang. Wieder einmal hatte sie das Gefühl, sich im Kreis bewegt zu haben. Sie war noch ein Kind gewesen, als sie sich zum ersten Mal für Kräuter und alternative Medizin interessiert hatte – vielleicht, weil die Flaschen und Gläser, in denen sie abgefüllt wurden, so viel faszinierender waren als die aus der Apotheke. In Llandrindod Wells, wo sie aufgewachsen war – keine zwanzig Kilometer von hier   –, hatte es einen Laden gegeben, und sie hatte immer versucht, ihre Mutter dazu zu bringen, mit ihr hineinzugehen.
    Ihre Eltern waren beide Lehrer gewesen: ihre Mutter an der Highschool, ihr Vater stand kurz davor, Direktor an einer Grundschule zu werden. Als er den Job dann doch nicht bekam, zogen sie nach Yorkshire, wo er geboren worden war. Damals war Betty zehn Jahre alt gewesen.
    Bis sie die Schule verließ, wusste sie kaum, dass man etwas anderes werden konnte als Lehrer. Ihre Eltern sprachen von ihrer Arbeit immer, als wäre sie eine schmerzhafte Berufung, als wären sie Märtyrer. Es war ausgemachte Sache, dass Betty dasselbe Leiden auf sich nehmen würde. Und was ihre «Phantasien» betraf   … da würde sie bald genug rauswachsen. Die Aufgabe einer Lehrerin war es schließlich, die Phantasie anderer anzuregen.
    Ihre Eltern waren ungläubige Anglikaner gewesen. Ihre Welt war vollkommen farblos. Es war merkwürdig, dass sie beide nicht medial veranlagt waren. Die entsprechenden Gene mussten mindestens zwei Generationen lang geschlummert haben.
    Betty fuhr langsam, sie
fühlte
die Landschaft. Die alte Kirche von Old Radnor zeichnete sich deutlich vor dem Horizont ab, wie ein Leuchtturm ohne Licht. Hinter sich spürte sie das Gewicht der Hügel – sie waren muskulös, als würden sie sie vor sich herschieben. In Walton – ein Pub, Bauernhöfe, kleine Cottages – bog sie links in die niedrig gelegene, fruchtbare Vertiefung ab, die Archäologen als Walton-Bassin bezeichneten, weil hier vor Tausenden von Jahren einmal ein See gewesen sein musste. Heute gab es hier nur noch den kleinen Hindwell-Teich, an den der Legende nach die
Vier Steine
heimlich beim ersten Hahnenschrei kamen, um etwas zu trinken – was darauf hindeutete, dass dieses Wasser lange Zeit geweihtes Wasser war.
    War es einst vielleicht der Göttin geweiht? Der Göttin, die Isis und Artemis und Hekate und Ceridwen und Brigid war in all ihren Gestalten?
    Betty hatte in einem Lehrerkolleg in den Midlands zum ersten Mal von der Göttin gehört. Eine ihrer dortigen Tutorinnen war eine Hexe gewesen; das war herausgekommen, als Betty zugegeben hatte, dass es ihr schwerfiel, in einen bestimmten Umkleideraum zu gehen, in dem sich – wie ihr dann anvertraut wurde – eine Studentin erhängt hatte. Alexandra war voller Verständnis für Bettys Reaktion gewesen und hatte sie zu sich nach Hause eingeladen – in eine ganz neue Welt aus Räucherstäbchen und Schleiern, Erde und Wasser und Feuer und Luft   … in der Träume analysiert wurden, in der die Bäume atmeten und in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft parallel existierten   … und der Mond war das Licht, das der Göttin den Weg wies.
    Das Archäologenteam, das sich mit dem Walton-Bassin beschäftigte,hatte vor kurzem herausgefunden, dass an diesem

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