Die fünfte Kirche
zündete eine Silk Cut an und zog sich einen Aschenbecher heran.
«Was ist mit der Beerdigung selbst? Ist sie streng privat, ich meine, sind Sie irgendwie ausgeschlossen?»
«Meine Liebe!» Barbara ließ ihren Schal fallen. «Das wird eine höchst öffentliche Sache. Es wird einen Gottesdienst in der Dorfhalle geben.»
«Und der Pfarrer ist …?»
«Vater Ellis.»
«Nick Ellis.» Merrily nickte. Das erklärte einiges.
«Ich weiß nicht, warum sich so viele Anglikaner neuerdings so gerne ‹Vater› nennen – kennen Sie den Mann?»
«Ich habe von ihm gehört. Er ist ein
charismatischer
Pfarrer, was heißt …»
«Also ist er keiner von diesen Erweckungspredigern, bei denen geklatscht und ekstatisch gesungen wird und sich alle ständig in den Arm nehmen?» Barbara kniff vor Abscheu die Augen zusammen.
«Na ja, das ist auch ein Aspekt. Aber Nick Ellis gehört zu einer Gruppe, die sich ‹Meer des Lichts› nennt. Das ist eine Bewegung innerhalb der Anglikanischen Kirche, die das Besitzdenken der Kirche kritisiert und behauptet, sie würde sich mehr um Gebäude kümmern als um Seelen. Ihrer Ansicht nach wohnt der Heilige Geist im Menschen, nicht in alten Gemäuern. Deshalb ist jeder Pfarrer vom ‹Meer des Lichts› begeistert, wenn er Gottesdienste in Dorfhallen oder Privathäusern abhalten kann.»
«Und dasselbe gilt für Beerdigungen.»
«Das nehme ich an, ja.»
«Jeffery hat also einen Komplizen bei den Geistlichen.»
«Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen», sagte Merrily, «aber ich fürchte, da kann man wirklich nichts machen. Und wenn Nick Ellis einen Beerdigungsgottesdienst in der Dorfhalle abhältund eine Zeremonie in J. W. Weals Garten, dann glaube ich kaum, dass ich eine weitere Trauerfeier in der Kirche ansetzen kann. Allerdings –»
«Mrs. Watkins … Merrily …» Nachdem sie bei dem Anwalt kein Glück gehabt hatte, versuchte sie es bei der Kirche.
«Ich bin auch nicht ganz sicher, dass es sich hier um ein spirituelles Problem handelt», sagte Merrily etwas unbeholfen.
«Oh doch, das ist es.» Barbara spreizte ihre Finger auf dem Tisch und lehnte sich zu Merrily hinüber. «Sie kommt zu mir, wissen Sie …»
Der Geist der Trauerzeit: der Besucher. Vielleicht sitzt er in seinem gewohnten Sessel, geht durch den Garten oder erscheint jemandem – wie Menna – im Traum. Barbara Buckingham, die in einem Hotel in der Nähe von Kington untergekommen war, hatte jede Nacht von ihrer Schwester geträumt, seit Menna gestorben war.
Menna trug etwas Weißes, und um sie herum war alles dunkel.
«Sie glauben vermutlich lieber, dass ich mir das Ganze nur einbilde, wegen meiner Schuldgefühle», sagte Barbara.
«Vielleicht wegen Ihres Verlustes … auch, wenn Sie sie nicht kannten. Vielleicht ist der Verlust sogar größer,
weil
Sie sie nicht kannten – all die Jahre, in denen Sie sie hätten kennen können … und nun können Sie es nicht mehr nachholen. Ist Ihr Mann …»
«In Frankreich, um Antiquitäten zu kaufen. Er handelt damit.»
«Wie fühlen Sie sich, wenn Sie aufwachen?»
«Unruhig.» Barbara trank schnell ein paar Schlucke Tee. «Und ausgelaugt. Erschöpft und geschwächt.»
«Waren Sie beim Arzt?»
«Ja, zufällig war ich bei Mennas Arzt, Collard Banks-Morgan. Wir waren auf derselben Grundschule. Er wird ‹Dr. Coll› genannt. Aber falls Sie damit meinen, dass mir ein bisschen Valium helfen würde – ich war nicht meinetwegen bei ihm.»
«Sie wollten wissen, warum sie einen Schlaganfall hatte.»
«Ich bin in sein Sprechzimmer in der Schule reingeplatzt, in Old Hindwell, die Leute da haben sich wirklich über mich geärgert, aber das ist mir jetzt auch egal. Der Idiot hat gesagt, was ich von ihm verlange, wäre unethisch, er dürfe dem Leichenbeschauer nicht vorgreifen. So überkorrekt war er schon als Kind. Wenn es an der Grundschule damals schon einen Schulsprecher gegeben hätte, wäre er das gewesen.»
«Haben Sie herausgefunden, ob Menna ein Langzeitproblem mit dem Blutdruck hatte?»
«Nein.» Barbara Buckingham legte sich ihren Schal um. «Aber das werde ich noch.»
«Was halten Sie davon», sagte Merrily, «wenn wir ein Gebet für Menna sprechen, bevor Sie gehen? Für ihren Geist. Warum gehen wir nicht hinüber in die Kirche?»
«Ich habe Sie schon zu lange aufgehalten.»
«Es könnte helfen.» Die fünfte Regel, die sie bei ihrer Arbeit mit spirituellen Grenzfällen gelernt hatte, lautete: Ob du die Geschichte
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