Die Fuenfzig vom Abendblatt
wieder aufgerichtet. „Pleschke vom Rot-Weiß? Mittelgewicht? Hat ‘ne Schramme überm linken Auge?“
„Er war, glaube ich, früher auch Turnierfechter Harald mußte sich richtig überwinden, dem Rothaarigen zu antworten.
„Und warum willst du zu uns?“ Erwin Kogge war etwas böse, daß die Auskünfte so harmlos ausfielen. Er hatte gerade gestern eine Kriminalgeschichte zu Ende gelesen, in der ein Beamter von Scotland Yard den verstocktesten Einbruchsspezialisten der Staaten nach fünfstündigem Verhör doch noch zum Geständnis gebracht hatte. Allein durch sein raffiniert ausgelegtes Netz von Fragen.
„Ich fahre für mein Leben gern Rad. In Stuttgart war ich sogar in einem Rennverein und startete in der Jugendklasse.“
„Wieso in Stuttgart?“
Alibaba stand nun wieder dicht neben dem Neuen.
„Weil ich bisher in Stuttgart gelebt habe. Ich kam erst vor einem halben Jahr hierher.“
Und nun war Harald die Sache allmählich doch zu albern. So konnte er sich nicht verkneifen, hinzuzufugen: „Wenn du dort bei der Polizei Erkundigungen einziehen willst: Ich wohnte in der Hasenbergstraße 46 im zweiten Stock links. Ich bin ein Meter einundsiebzig groß, habe außer meiner Narbe von einer Blinddarmoperation keine besonderen Kennzeichen, bin evangelisch, unverheiratet und kinderlos. That’s all!“
Das letztere war nun wieder etwas unvorsichtig gewesen, und Harald korrigierte sich sofort: „Das wäre alles! — Willst du die Narbe sehen?“ Er fing wahrhaftig an, seinen Pullover hochzukrempeln.
Einige der Jungen verbissen sich mit Mühe das Lachen. Die übrigen aber schauten sich gegenseitig an — ratlos — was sollte man dazu sagen?
Erwin Kogge aber, der sich von Alibaba schon immer an die Wand gedrückt fühlte, gönnte dem Boß die Abfuhr mit offensichtlicher Schadenfreude. Er meinte grinsend: „Nein — die Narbe glaubst du ihm wohl auch so — nicht wahr?“
Da flog ihm eine Handvoll öliger Putzwolle mitten ins Gesicht. Alibaba, der aus irgendeinem Grunde nicht wagte, den Neuen selbst anzugehen, hatte sich nach einer anderen Richtung Luft gemacht. Einer Richtung, die ihm im übrigen keiner der Jungen verübelte. Im Gegenteil.
„Ach, der Herr ist wohl beleidigt, hm?“ Erwin Kogge wischte sich mit dem Unterarm über sein Gesicht.
Alibaba aber beobachtete ihn gar nicht und verwandte auch keinen weiteren Blick auf Harald. Er ging wortlos zu seinem Fahrrad, faßte es bei der Lenkstange und sagte im Weggehen noch so, als ob nichts gewesen wäre, und gerade so laut, daß ihn alle hören konnten: „Wer seine Klamotten noch nicht bei sich hat, holt sie am besten jetzt. Nachher ist keine Zeit mehr, und von unseren roten Pullovern darf bei der ganzen Geschichte heute nacht nichts zu sehen sein.“ Dabei stellte er sich mit einem Bein auf das Pedal seines Rades und ließ sich zur Ausgabe hinüberrollen, um nachzusehen, wie dort die Dinge stünden. Es war schon knapp vor sieben.
Die Jungen machten sich wieder an ihren Rädern zu schaffen, der eine oder andere fuhr nochmals zur Straße hinaus, und Erwin Kogge sah sich nach einem Stück Seife und der Wasserleitung um.
Keiner erwähnte das Vorgefallene mehr. Selbst Sams Interesse für den Neuen war merklich erloschen, nachdem sich herausgestellt hatte, daß er mit Mr. Voss doch nicht persönlich bekannt war.
Harald hatte einen Schraubenschlüssel zur Hand genommen und machte sich daran, den Sattel seines Rades höher zu stellen. Auf der Fahrt durch die Stadt hatte er beim Treten die Knie nicht durchdrücken können. Der vorherige Besitzer des Rades schien um einiges kleiner gewesen zu sein.
Eine ganze Weile stand Mario dabei schweigend hinter ihm. Harald schien ganz von seiner Arbeit mit Beschlag belegt. In Wirklichkeit war er noch mit all seinen Gedanken bei Alibaba. Erst als er sich jetzt bückte, um ein neues Werkzeug vom Boden aufzunehmen, fiel sein Blick auf die Schuhe und die Beine des schmalen, schwarzhaarigen Jungen, der hinter ihm stand. Er richtete sich auf und sah ihn an. Mario wollte etwas sagen, aber er brachte kein Wort über die Lippen. Nur seine großen, dunklen Augen redeten.
Da, vorhin, als Alibaba von seiner Papierrolle herunter gesprochen hatte, als es dann plötzlich so still geworden war und alle auf diesen fremden Jungen geschaut hatten, fast feindselig, da wollte er, Mario, eigentlich zu ihm springen, weil er ihn in Gefahr glaubte. So wie er selbst schon viele Male in Gefahr gewesen war. Er wußte, wie schwer es war, allein
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