Die Fuenfzig vom Abendblatt
beauftragt waren, sämtliche Passanten an Erwin Kogge zu verweisen, mußten allmählich selbst Auskunft geben und sich im Namen des Nachtexpreß entschuldigen. Der Andrang wurde nämlich immer stärker, und Erwin Kogge allein schaffte es nicht mehr.
An der Endhaltestelle der Autobuslinie und der Straßenbahn, die den Werften und damit auch dem Zirkus am nächsten lag, hatte Sam Stellung bezogen.
Diese Endhaltestellen waren in Alibabas Plan eine verdammt harte Nuß gewesen. Neben der Überwachung der Werftstraße, die er ja selbst übernommen hatte, waren diese Haltestellen der wundeste Punkt in der ganzen Absperrung. Weniger ihrer Lage als der Tatsache wegen, daß hier immer zur gleichen Zeit Autobus- oder Straßenbahnzüge ankamen, die in der Gesamtheit weit schwerer anzusprechen waren als einzeln ankommende Fußgänger, weshalb hier auch nicht alle Besucher erfaßt werden konnten.
Alibaba hatte zu Sams schwarzer Hautfarbe Zuflucht genommen. Beim Zirkus pflegen ja Chinesen, Indianer, Malaien und Eskimos zum Bestand der Truppe zu gehören. Wenn also Sam als Bote Bertoldis auftrat, würde man ihm weit eher glauben als jedem anderen Jungen. So hatte Alibaba am Nachmittag aus einem Kostümverleih einen alten Liftboyrock besorgt und ein dazu gehörendes Käppchen, wie es von Hotelboys und Fahrstuhljungen getragen wird.
Sam war wild begeistert gewesen, als er von Alibaba über seine besondere Mission unterrichtet worden war, und hatte sofort den roten Rock mit den goldenen Knöpfen angezogen und das Käppchen über das linke Ohr gesetzt.
Jetzt stand der Negerjunge in dieser bunten Kostümierung an der gefährlichen Endhaltestelle. Dieser bunte Aufzug war nicht zu übersehen und enthob den Jungen von vornherein jeder Frage nach seiner Herkunft. Sam hatte sich eine große Messingglocke besorgt, mit der er jetzt zu läuten begann, als ein offensichtlich ziemlich stark besetzter Omnibus auf ihn zugefahren kam. Ein Schild, das von ihm an eine Stange genagelt worden war, damit er es leicht mit sich führen konnte, hatte er neben sich an die Wand gelehnt. Nun nahm er es wieder an sich und trat auf die Haltestelle zu. Auf dem Schild stand: „Galavorstellung des Nachtexpreß bis auf weiteres verschoben!“
Der Omnibus war tatsächlich überfüllt. Als der zweistöckige Koloß jetzt anhielt und die Türen sich öffneten, quollen aus seinem Innern die Menschen wie Zahnpasta aus einer zu prall gefüllten Tube.
Sam schwang seine Glocke und rief mit lauter Stimme, doch so, als sei er der deutschen Sprache nicht ganz mächtig und hätte diese Worte nur eben eingedrillt bekommen: „Nachtexpreß-Galavorstellung heute fällt aus!“ Zwischendurch schwang er wieder wie ein Dorfbüttel seine Glocke, und dann war von neuem, monoton wie von einer Schallplatte, seine Stimme zu hören:
„Galavorstellung heute fallt aus!“
„Ja, hören Sie mal, was soll denn das heißen?“
„Wußte man denn das nicht früher?“
„Das ist doch eine Zumutung, das hätte man durchs Radio bekanntgeben müssen!“
Fast alle Insassen des Omnibusses schienen zum Zirkus gewollt zu haben. Wer Notiz von dem Ausrufer genommen hatte, war sichtlich enttäuscht, so nahe dem Ziel wieder zurückgeschickt zu werden. Sam aber zeigte nur lachend seine weißen Zähne, verwies auf sein Plakat und meinte dazwischen: „Ich nix verstehen
Als der Omnibus fast leer war und nun auch die zuletzt Ausgestiegenen die Lage der Dinge erfuhren, war man sich allgemein nicht recht schlüssig, was zu tun sei. Vier oder fünf der Gäste waren allerdings sofort wieder eingestiegen, um denselben Bus ohne Zeitverlust zur Rückfahrt zu benutzen.
Für diesen Augenblick der Unschlüssigkeit standen nach Alibabas weiser Überlegung drei Jungen bereit, die auf diesen Augenblick warteten und aus dem Dunkel einer Toreinfahrt quer über die Straße auf die wartenden Fahrgäste zukamen.
„Eine bodenlose Unverschämtheit ist das! Fährt man da eine halbe Stunde quer durch die Stadt
und wenn man ankommt, ist der Laden einfach zu.“
Sam aber zeigte dessenungeachtet seine weißen Zähne. „Dankerschön — o bitte, ich nix verstehen — dankerschön Da nahm der andere der drei Jungen aufstöhnend seine Mütze von der Stirn und empfahl seinen zwei Begleitern mit lauter Stimme, doch gleich in den Omnibus zu steigen, solange noch Sitzplätze frei wären.
Dieser letzte Hinweis war es, der nun auch die übrigen Besucher in Bewegung brachte. Alles drängte wieder in das Innere des Wagens,
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