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Die Fuenfzig vom Abendblatt

Die Fuenfzig vom Abendblatt

Titel: Die Fuenfzig vom Abendblatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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lächelte seinem Jungen dankbar zu, und während er nun hörte, wie sich dessen Schritte entfernten, nahm er seine Schutzbrille von den Augen und hielt das bleiche Gesicht zur Sonne hin.
    Klaus hatte nach einem schmalen Gartenweg die Stufen erreicht, die zur breiten Tür der weißen Villa führten. Eine Weile stand er unschlüssig. „Städtische Augenklinik — Medizinalrat Prof. Dr. Hammerstein“. Das weiße Emailleschild neben der Tür sagte ihm, daß er an der richtigen Stelle war.
    Klaus hatte einen festen Plan. Er zog sich jetzt seinen Rock aus und hing ihn über den Arm. Er strich den roten Pullover glatt, damit das „Abendblatt“ über seiner Brust auch deutlich zu lesen war. Aus seiner Tasche zog er die Ausgabe der Zeitung vom gestrigen Abend, die so zusammengefaltet war, daß der betreffende Artikel obenauf lag. Noch einmal las er am Ende der Spalten den Namen des Verfassers. Aha, also Dr. Paul Ortel. Der Junge behielt die Zeitung in der Hand, und wie ein Hundertmeterläufer aus seinem Startloch schießt, kam jetzt wie auf ein unsichtbares Zeichen Leben in ihn: Er rannte die Treppe hinauf, so schnell er konnte. Die Tür war nur angelehnt. So kam er ungehindert in die weite Diele des Hauses. Über einen roten Läufer, der auf den Treppen lag, ging es zur ersten Etage. Aber ein Schild verwies zum nächsten Stockwerk. Er stürmte also weiter über den schmalen roten Teppich, bis ihn ein neuer Hinweis in einen langen Korridor einbiegen ließ. Die vielen weißen Türen, an denen er jetzt vorbeikam, waren alle mit kleinen Messingzahlen bezeichnet. Das schienen die Zimmer der Patienten zu sein. Überhaupt machte das Ganze jetzt immer mehr den Eindruck eines Krankenhauses. Wand, Decke, Möbel, Türen, alles war weiß gestrichen und es roch nach Karbol oder Äther.
    Am Ende des breiten Korridors ging Klaus im Schrittempo. Hier saßen an beiden Enden des Ganges in langen Reihen Männer, Frauen und Kinder. Fast alle hatten Begleiter bei sich oder auch einen Hund, der an der Erde zu ihren Füßen lag. Sie trugen dunkle Schutzbrillen vor ihren Augen oder hatten jene Armbinden, wie Blinde sie auf der Straße tragen.
    Diese Reihen der Wartenden zogen sich bis zu den zwei großen Räumen hin, die als Sprechzimmer bezeichnet waren. Dort bat gerade eine ältere Krankenschwester um Ruhe:
    „— Sie müssen das bitte verstehen. Aber die Zeit des Herrn Professors ist durch seine Tätigkeit als Leiter und Chirurg der Klinik beschränkt. Ich kann nur noch diese Patienten vorlassen, die bestellt sind. Die anderen wollen sich in den ersten Stock bemühen und um einen Termin nachsuchen.“
    Während daraufhin unter den Blinden und ihren Begleitern ein allgemeines gedämpftes Besprechen anhub, schaute sich Klaus nun doch etwas ratlos unter all den vielen Menschen um. Da erspähte die Schwester den Jungen und ging lächelnd auf ihn zu,
    „Na, und Sie, junger Mann? Sie haben sich hier wohl verlaufen, wie?“
    Ihr Haar war kaum weniger weiß als das Tuch ihrer Schwesterntracht. Ihre Augen schauten fast fröhlich hinter den Gläsern ihrer Brille hervor.
    Klaus, der im ersten Augenblick etwas zusammengeschrocken war, faßte sich wieder.
    „Ich möchte gern Herrn Professor Hammerstein sprechen.“ Es war gut gewesen, daß er vorher die Worte der Schwester gehört hatte. Nun wußte er wenigstens, wie der Mann mit dem weißen Bart anzusprechen sei.
    Die Schwester schien noch mehr belustigt zu sein als vorher. „So, du möchtest den Professor sprechen. Und wen darf ich denn melden?“
    Klaus witterte, daß sich die alte Dame über ihn lustig machte. Er antwortete also sehr sachlich:
    „Die Angelegenheit ist dringend. Ich komme vom Schriftleiter Dr. Paul Ortel. Es ist wegen „Ach, wohl wegen des Artikels gestern abend. Der Herr Professor hat sich sehr gefreut und an Dr. Ortel bereits geschrieben. Ist etwas abzugeben oder etwas auszurichten?“ Donnerwetter, mit dieser Frage hatte Klaus nicht gerechnet! „Abendblatt“ und „Dr. Ortel“, damit hatte er gehofft, wie mit einem „Sesam öffne dich!“ die Tür zu dem Gelehrten aufreißen zu können. Nun suchte er nach einer eleganten und zweckmäßigen Ausrede---
    Aber da öffnete sich die hohe, schmale Tür an der Stirnseite des Sprechzimmers. Ein ziemlich junger Mensch am Arm einer älteren Dame kam heraus, und hinter den beiden sah man in einem weißen Mantel die Gestalt eines Mannes, dessen Gesicht von einem ebenfalls weißen Bart eingerahmt war.
    Das mußte der Professor sein!

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