Die Fuenfzig vom Abendblatt
unmöglich gewesen, jetzt auch nur noch eine Sekunde still zu stehen. Er stürzte zur Tür, riß sie förmlich auf, rannte an all den Menschen vorbei durch die Räume der Sprechzimmer, rannte den Korridor entlang, über die Treppen und den Gartenweg, bis er keuchend neben seinem Vater stand.
Schwester Erika war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten, als der Junge die Tür zum Arbeitszimmer des Professors aufgestoßen hatte und dann an ihr vorbeigeschossen war. Sie war, von banger Ahnung und Furcht getrieben, schnell zu der schmalen Tür getreten, die ja immer noch weit offen stand. Sie hatte vermutet, den Professor in irgendwelcher Erregung anzutreffen, da dem ungewöhnlichen Abgang des Jungen doch wohl eine recht bewegte Szene vorausgegangen sein mußte.
Aber sie fand den Gelehrten in völliger Ruhe und Gelassenheit am Fenster seines Arbeitszimmers stehen, den Blick in den Park und zur Straße gerichtet. Der Professor, der jetzt die Eintretende gehört haben mochte, gab ihr durch ein stummes Zeichen zu verstehen, zu ihm zu kommen. Als sie dann neben ihm stand, erblickte jetzt auch sie den Jungen in seinem roten Pullover, wie er einen Blinden durch den Eingang der Klinik und dann über den Gartenweg dem Hause zuführte.
„Bitten Sie die Patienten recht freundlich, sich zu gedulden — ich werde länger bleiben, und niemand soll dadurch, daß ich jetzt den Vater dieses Jungen vorziehe, benachteiligt werden.“
Als dann wenige Augenblicke später Klaus mit seinem Vater ins Zimmer des Gelehrten kam, war die Schwester gerade dabei, einen schwarzen Tuchvorhang vor das Fenster zu ziehen. Der Raum lag nun beinahe in völliger Dunkelheit. Der Professor hatte seine Schreibtischlampe angeknipst und trat jetzt auf den Blinden zu, griff nach seiner Hand. Dabei wandte er sich an Klaus: „Ich muß mit deinem Vater jetzt allein sein — es geht nicht anders — “
Und der Blinde, der fühlen mochte, wie schwer es dem Jungen fiel, ihn gerade in diesem Augenblick allein zu lassen, fügte mit einem leichten Lächeln hinzu:
„Nur Mut, Klaus, du bist ja trotzdem bei mir — auch draußen vor der Tür —“
Dabei fühlte der Junge eine Hand auf seiner Schulter, und als er aufsah, blickte er in das Gesicht der Krankenschwester, die ihn jetzt aus dem dunklen Zimmer in den Warteraum nahm.
„Sind Sie — sind Sie mir nicht mehr böse?“
Schwester Erika schüttelte lächelnd den Kopf. Sie hatte in einer Ecke des Raumes noch zwei freie Stühle gefunden und nahm dort mit dem Jungen Platz.
„Bestimmt war das alles von mir nicht sehr höflich — „
„Nein, sehr höflich war es wirklich nicht Schwester Erika stimmte lächelnd zu.
„Aber — sehen Sie, wenn ich es nicht einfach so gemacht hätte, wäre mein Vater jetzt nicht beim Professor. Wäre er vielleicht überhaupt nie zu ihm gekommen „Das stimmt vielleicht — aber überlege auch einmal, wie das hier wohl zuginge, wenn es alle so machen wollten, wie du es gemacht hast?“
Das Ergebnis dieser Überlegung berührte den Jungen etwas peinlich. Er hielt es daher für besser, die Frage weiter nicht zu beantworten. Zudem waren da ohnehin noch einige Dinge, die ihn sehr interessierten.
„Der Herr Professor ist doch rasend bekannt, nicht?“
„Doch, das kann man sagen. Er erhält allein aus dem Ausland täglich zwanzig oder fünfundzwanzig Briefe. Heute zum Beispiel sogar einen aus Uruguay.“
„Donnerwetter Klaus überlegte eine Weile — und — und die Briefmarken von diesen Auslandsbriefen, wer bekommt die?“
„Der Professor ist selbst ein begeisterter Briefmarkensammler.“
„Ach so — dann muß er aber eine tolle Sammlung haben, wie?“
„Acht oder neun Bände —“
„Na ja, das ist natürlich was andres. Ich habe vorerst noch kein Album. Ich klebe alles in ein altes Mathematikheft. Das ist so praktisch, weil es lauter kleine Fächer hat. Es ist nicht schade um das Heft. Mathematik ist sowieso meine schwache Seite.“
„Jeder hat irgendwie und irgendwo seine schwachen Seiten.“
„Hm — noch eine Frage
„Du bist doch sonst nicht so schüchtern!“
„Was kostet beim Professor so eine Untersuchung wie jetzt die mit meinem Vater?“
„Da gibt es keinen festen Satz. Aber meistens schwankt das zwischen zwanzig und fünfzig Mark.“
„So — bis zu fünfzig Mark? — Hm — und so eine — ich meine, wenn der Professor jetzt sagt, daß er diese Sache mit der Bindehaut machen kann — was kostet da so eine Operation?“
„Das ist auch
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