Die Fuenfzig vom Abendblatt
Sprinter dieses Mal wieder auflegte, knackte es plötzlich in der Rohrpostanlage. Es handelte sich um die letzten Nachrichten einer Presseagentur. Während sein Rotstift bestimmte Zeilen anzeichnete, drückte Sprinter bereits auf eine Klingel. Seine Sekretärin erschien.
„Sofort zu Dr. Geyer! Erste Seite — Noch zu den Meldungen aus Chile-“
Die Sekretärin verschwand wieder, und jetzt endlich schien es so, als habe Sprinter Zeit für seinen jungen Besucher.
„Also, zu deinem Bericht-“
Aber da wurde die Tür aufgerissen, ein Bildreporter stürzte ins Zimmer und knallte eine Serie Fotos vor Sprinter auf den Schreibtisch. Der Hauptschriftleiter hob die Schultern, als wolle er sagen: „So ist das bei uns nun mal!“ — lächelte kurz zu Harald hinüber und beschäftigte sich dann mit den Bildern.
„- hm — aber das! Das hier ist ausgezeichnet! Hier Hochformat einspaltig — lassen Sie’s sofort reproduzieren-“
So plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der Bildreporter auch wieder. Er hatte kein Wort gesprochen.
„-jetzt aber endlich zu dir — “
Hauptschriftleiter Sprinter nahm Haralds Manuskript und fing an zu lesen. Dabei griff er ohne aufzusehen und wohl ganz mechanisch wieder nach seinem Rotstift, schrieb geheimnisvolle Zeichen und Zahlen an den Rand der Arbeit, unterstrich hier und dort eine Zeile, korrigierte ein paar Worte — und dann steckte er das Ganze, so als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt wäre, in eine der Rohrpostkapseln. Jetzt, während das zischende Geräusch aus der Röhre klang, meinte er nebenhin: „Dein Honorar werde ich dir anweisen. Du kannst es dann heute mittag an der Kasse abholen. Zweiter Stock, Zimmer 302 —“
Eine Weile blieb Harald noch stehen. Sein Bericht war also angenommen. Das hatte er jetzt begriffen. Das bedeutete soviel, daß er entlassen sei. So ging der Junge also zur Tür. Er faßte gerade nach der Klinke, da hörte er Sprinters Stimme.
Der Hauptschriftleiter schien das Zögern des Jungen bemerkt zu haben, und es mochte ihm dabei auch zum Bewußtsein kommen, daß dieser Junge dort ja nicht einer seiner üblichen Reporter war, sondern eben ein Junge, der heute zum ersten Male „geliefert“ hatte. So durfte dieser schlanke Kerl dort an der Tür doch wohl ein paar Worte erwarten. Außer der Reihe sozusagen.
„Ist nicht schlecht, dein Bericht da, meine ich. War also doch kein Zufallstreffer, deine erste Arbeit. Ich meine jetzt den Artikel über den Abend im Zirkus Bertoldi. Ich werde dich noch mehr schreiben lassen für uns. Bis dahin nimm dir jede Zeitung vor, die du in die Finger bekommst. Und wenn dir irgendwo ein Artikel besonders gut gefällt, dann lies ihn ein zweites und ein drittes Mal. Bis es dir klar ist, weshalb er besser ist als die anderen.“
„Ist gemacht, Herr Sprinter. Und besten Dank auch!“
Das war alles, was Harald noch sagen konnte. Dann stand er wieder vor der Tür des Hauptschriftleiters auf dem weiten, lichtdurchfluteten Korridor. Eine ganze Weile stand er da. Bis er dann tief, ganz tief Luft holte und sich in Richtung zum Paternoster in Bewegung setzte.
Dabei ging er gemessen, Schritt für Schritt. So sehr er auch Lust gehabt hätte, wie ein Wilder loszurennen. Aber schließlich war er ja jetzt jemand. Fing zum mindesten an, es zu sein. Und was sollte Mr. Voss von einem Mitarbeiter denken, der wie ein Lausejunge durch die Korridore rennt?
Harald ging also sehr würdig zum Aufzug und ließ sich ins Erdgeschoß hinuntertragen.
Am Abend war dann Sam wieder einmal der erste, der den „Lunapark-Artikel“ im druckfeuchten Abendblatt entdeckt hatte. Die Urheberschaft war nicht zu leugnen, denn da stand es schwarz auf weiß gedruckt: „Der Lunapark ist eröffnet“. Darunter Harald Madelung. Tatsächlich, der Name war dieses Mal voll ausgeschrieben. Wenn auch nur in sehr kleinen Druckbuchstaben.
Neidlos anerkannte Brille, daß der Artikel gut sei, und Alibaba, der die Sache erst zweimal durchlas, bevor er sich dazu äußerte, meinte nach geraumer Zeit sehr sachlich, daß es sich bei dem Bericht um genau zweiundsiebzig Zeilen handeln würde. Nach Adam Riese also rund dreißig Mark Honorar.
„Kinder, mit der Zeit werden wir eine verdammt geistvolle Familie!“ Erwin Kogge schlug Harald kollegial auf die Schulter. „Und wie du in deinem Artikel die ,Zwei Remos’ herausgestrichen hast, das imponiert mir! Vielleicht kann ich dir auch mal ein Foto mit Unterschrift besorgen.“
Erwin Kogge ahnte nicht,
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