Die Fuenfzig vom Abendblatt
Auch er hatte gesprochen. Und nicht gerade schlecht, wie es schien.
„Überhaupt die Arbeit an einer Zeitung — das ist das Interessanteste, was es gibt. Ich würde mein Leben lang nur an einer Zeitung arbeiten.“ Brille rückte sich mal wieder aufgeregt seine Brille zurecht.
aber — das, das sage ich jetzt nicht nur so, weil Sie, Mr. Voss, jetzt gerade bei uns sind. Das ist meine wirkliche Meinung, und meinem Vater erzähle ich das jeden Abend, wenn wir uns beim Essen gegenübersitzen.“
Da war es dann so weit, daß der Chef des Abendblattes einen der Jungen bat, vors Haus zu seinem Wagen zu gehen. Er solle dort den Chauffeur bitten, ihm das „bewußte Paket“ zu geben. Dieses „bewußte Paket“ entpuppte sich aber als Korb, in dem fünf oder sechs Flaschen lagen. Der Hauptschriftleiter mußte einen Korkenzieher herbeischaffen, und da es an einer genügenden Anzahl von Gläsern fehlte, befahl Mr. Voss kurzerhand, die Kaffeetassen leer zu trinken und auszuspülen.
„Es ist Likör. Eierlikör. Süß und ohne viel Alkohol. Ich denke, ein Schluck davon wird euch nicht schaden.“
Als alle Tassen zur Hälfte eingegossen waren, trank Mr. Voss den Jungen lächelnd zu.
„Das, was euer Boß da vorhin gesagt hat und hier der junge Herr mit seiner Brille, der fast wie ein Professor aussieht — das stimmt schon — “
Nun hielt es den Allgewaltigen anscheinend nicht länger in seinem Sessel. Er stand auf und ging die paar Schritte, die noch freigeblieben waren, hin und her, wie er es eben auch in seinem Arbeitszimmer im achten Stockwerk des Abendblatt-Gebäudes tat.
„Es gibt tausend Berufe, boys, und keiner ist besser oder schlechter als der andere. Unser Beruf ist die Zeitung. Sie aus meinem Leben wegzudenken, wäre mir unmöglich. Und so geht es wohl Ihnen auch, Sprinter? So geht es anscheinend sogar schon manchem von euch Nun zog Mr. Voss mal wieder an seiner Zigarre, und dabei lächelte er wohlwollend zu Brille hinunter, aber auch zu Harald hinüber.
„Ihr wißt, ich habe mal so angefangen wie ihr. Kein Anfang ist zu schlecht für irgendeine Sache. Entscheidend ist, daß man von diesem Anfang an weiß, was man will.“
„Aber auch heute bin ich noch längst nicht an meinem Ziel. Ich habe jetzt wohl meine eigene Zeitung. Aber gerade damit stehe ich erst wieder am Anfang.“
Nun wurden Sams Augen doch bedenklich größer.
Mr. Voss streifte die Asche von seiner Zigarre und schaute dann eine Weile schweigend in die Runde der Jungen.
„So ziemlich alle Menschen in allen Ländern verwenden täglich mindestens fünf oder zehn Minuten auf das Lesen einer Zeitung. Das ist nicht viel, zugegeben. Aber es summiert sich im Laufe der Tage, Wochen, Monate und Jahre. Dabei sind die meisten Menschen heutzutage so sehr von ihrer Arbeit und ihren Sorgen in Anspruch genommen, daß sie neben diesen täglichen fünf oder zehn Minuten Zeitunglesen für nichts anderes mehr Zeit und Lust haben. Ich meine, sie lesen
sonst kaum noch etwas anderes. Sie gehen vielleicht noch ins Kino oder hören Radio. Ich will damit sagen, was für einen Einfluß die Zeitungen in aller Welt auf das Denken der Menschen ausüben Mr. Voss machte jetzt eine kleine Pause.
„Dazu kommt noch das: So ziemlich jede Zeitung hat eine eigene Richtung, dient einer Idee, einer politischen Partei, einer Finanzgruppe oder dergleichen. Und die Art, wie sie ihren Lesern die anscheinend unbedeutendste Nachricht serviert, überhaupt schon die Auswahl dieser Nachrichten, die Themen ihrer Artikel, die Lenkung ihres gesamten politischen Teils — das alles beeinflußt auf die Dauer das Denken ihrer Leser —“
Nun war der Chef des Abendblattes doch wieder aus seinem Sessel aufgestanden. Nachdem er schweigend einige Schritte gegangen war, blieb er jetzt ruckartig stehen.
„Leider gibt es Zeitungen, die lügen. Nur um irgendwelchen Interessen zu dienen. Eine Zeitung, die lügt, stiehlt aber auch. Sie stiehlt ihren Lesern die geistige Freiheit. Und so ein Diebstahl ist gar nicht sonderlich schwer. Es gibt nämlich noch genug einfache Menschen, die glauben, daß alles, was gedruckt steht, auch wahr ist Mr. Voss hatte jetzt die Hände auf dem Rücken und stand groß und breit inmitten der Horde. „Wenn ich nun sage, daß ich auch jetzt, da ich ja meine eigene Zeitung habe, noch immer und vielleicht erst recht am Anfang bin, so meine ich damit ganz einfach das: Unser Abendblatt soll eine Zeitung sein, die niemals lügt gegen ihr eigenes besseres Wissen. Das
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