Die Fuenfzig vom Abendblatt
notfalls auch dafür einstehen?“
Brille überlegte eine Sekunde, aber dann sagte er: „Ja, Vater würde das bestimmt auch vor Zeugen wiederholen!“
„Gut.“ Alibaba fuhr sich durchs Haar, dann steckte er seine Hände in die Taschen. Es war eine abschließende Bewegung, wie wenn jemand ein Buch zuklappt oder eine Tür hinter sich ins Schloß wirft. Er wandte sich jetzt an irgendeinen der Jungen. Es war Horst Backe, der draußen im Dockviertel wohnte.
„Du hast bisher geglaubt, daß jedes Wort, das im Abendblatt steht, auch wahr ist?“
Horst Backe, ein schmales, hellblondes Kerlchen, nickte zustimmend.
Der Rothaarige wandte sich wieder an die ganze Horde. „Ihr erinnert euch noch, daß Mister Voss damals am Sonntagnachmittag in der Wohnung von Hauptschriftleiter Sprinter zu uns gesagt hat: ,Jungen, wenn ihr das Abendblatt auf euren Rädern von Kiosk zu Kiosk fahrt, dann müßt ihr wissen, daß jedes Wort in dieser Zeitung wahr ist —!’ So ähnlich war es doch wohl? Mister Voss hat das alles sehr schön und---“
Da fiel ihm Harald ins Wort. „Ich glaube nicht, daß Mister Voss weiß, wie wenig dieser Bericht der Wahrheit entspricht.“
„Der hat gar keine Zeit, sich selbst so ein Konzert anzuhören —“ Sam glaubte, ebenfalls den Allgewaltigen in Schutz nehmen zu müssen.
Darum ging es Alibaba aber gar nicht. Selbstverständlich würde Mr. Voss von der ganzen Sache keine Ahnung haben. Aber das war es ja gerade. „Natürlich weiß er das nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß man ab heute sagen kann, seine Zeitung lügt. Alle, die selbst im Unionhaus waren, werden das feststellen. Tausend andere werden davon hören. Und am Ende wird es so sein, daß man auch in Zukunft das Abendblatt mit allen übrigen Zeitungen in einen Topf wirft. Und das muß verhindert werden!“
„Wir müssen Mister Voss sofort Bescheid sagen!“
„Quatsch! Was ganz anderes muß verhindert werden!“
Der alte Bombinsky, der bisher nur mühsam seinen Zorn unterdrückt hatte, rannte jetzt fluchend über den Hof zum Direktionsgebäude. „Das ist ja regelrechter Streik!“
„Jawohl, Streik!“
Alibaba sprang auf die Ausgaberampe.
„Das ist das einzig Mögliche! Wir streiken! Was an Zeitungen noch hier ist, bleibt liegen. Keine von ihnen kommt auf die Straße. Wir haben heute abend erst eine Route gefahren. Jeder fährt diese erste Route nochmals und holt von den bereits ausgelieferten Zeitungen zurück, was möglich ist. Es kommt auf jedes einzelne Blatt an. Das ist mein Vorschlag. Jetzt ist keine Sekunde mehr zu verlieren. Parole: Rettet das Abendblatt!“
Und da war Harald der erste, der zu seinem Fahrrad rannte und dabei rief: „Rettet das Abendblatt!“
„Ruhe!“ Der Boß warf seinen Arm in die Luft. „Wir haben jetzt keine Zeit, lange mit irgendjemand zu diskutieren! In jeder Sekunde werden die Zeitungen, die wir schon ausgeliefert haben, weiterverkauft. Andererseits, ich weiß nicht, was das für jeden von uns für Folgen hat. Ich meine, wenn wir jetzt streiken. Ich kann jetzt nicht anfangen, Mr. Voss oder Herrn Sprinter zu suchen. Entweder wir tun, was wir Vorhaben, sofort, ohne lange zu überlegen, was nachher geschieht, oder wir lassen es. Wenn also einer nicht mitmacht, verstehe ich das. Wer also für den Streik ist, den Arm hoch!“
Alibaba erhob dabei selbst seinen rechten Arm und sah sich um.
Es zeigte sich, daß alle Jungen einen Arm hochhoben.
„Dann also los!“ rief der Boß jetzt.
Augenblicklich saß die Horde auf ihren Rädern und raste los. Schon dicht hinter der Bogenbrücke riß das Rudel auseinander. Jeder der Jungen trat ins Pedal, als ginge es ums Leben. Heute existierten für sie keine Einbahnstraßen und keine Kreuzungen. Stopplichter wurde bedenkenlos überfahren.
Die Händler von den Kiosken waren wie vom Schlag gerührt, als ihnen plötzlich ohne viel Worte einfach die ganzen Stapel des gerade erst angelieferten Abendblattes wieder aus ihren Kiosken und von ihren Verkaufsbrettern weggenommen wurden. Ja, selbst Käufer die gerade nach der Zeitung greifen wollten, faßten plötzlich ins Leere, weil ihnen im letzten Augenblick irgendeine Hand die gewünschte Zeitung noch vor der Nase wegschnappte.
Dabei gab keiner der Jungen eine Erklärung ab. „Vermutlich hatte sich bei den Heiratsanzeigen ein Druckfehler eingeschlichen“, sagte Sam gelegentlich. Weiter nichts.
Schon nach einer Stunde sprach die ganze Stadt davon, daß die heutige Ausgabe des Abendblattes
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