Die Furcht des Weisen / Band 1
Sim entnervt. »Du hältst jetzt mal die Klappe und hörst mir zu. Das hier ist Alchemie. Und du hast nicht die geringste Ahnung von Alchemie.«
Ich machte eine beschwichtigende Geste. »Ich weiß, ich weiß.«
»Dann sag’s. Sag ›Ich weiß, ich habe nicht die geringste Ahnung von Alchemie.‹«
Ich sah ihn finster an.
»Alchemie ist nicht einfach nur Chemie mit ein paar Extras«, sagte er. »Und das bedeutet: Wenn du mir jetzt nicht zuhörst, wirst du womöglich zu voreiligen Schlüssen gelangen, und das kann dich ganz schnell das Leben kosten.«
Ich atmete tief ein und langsam wieder aus. »Also gut. Erklär’s mir.«
»Du musst die Substanz schnell auftragen. Dir bleiben nur etwa zehn Sekunden, um sie gleichmäßig auf Händen und Unterarmen zu verteilen«, sagte er und unterstrich das Gesagte zugleich mit Gesten.
»Es lässt sich nicht wieder wegreiben, aber du wirst ein wenig davon verlieren, falls du deine Hände allzu großer Reibung aussetzt. Und du darfst auf keinen Fall dein Gesicht damit berühren. Reib dir nicht die Augen, bohr nicht in der Nase, kau nicht auf den Fingernägeln rum. Das Zeug ist in gewisser Weise giftig.«
»In gewisser Weise?«
Statt darauf einzugehen, hielt er mir den Finger hin, den er gerade |348| in die Pfanne gedrückt hatte. »Es ist kein Schutzhandschuh. Sobald es erhitzt wird, beginnt es wegzubrennen.«
»Entsteht denn dabei irgendein Geruch?«, fragte ich. »Irgendwas, das einen verraten könnte?«
»Nein. Es
brennt
nicht im strengen Sinne. Es zerfällt nur.«
»Und in was zerfällt es?«
»In bestimmte Dinge«, erwiderte Simmon gereizt. »Es zerfällt in bestimmte komplizierte Dinge, die du ohnehin nicht verstehen würdest, da du ja, wie gesagt, nicht die geringste Ahnung von Alchemie hast.«
»Kann man es denn gefahrlos einatmen?«, fragte ich.
»Ja. Sonst würde ich es dir nicht geben. Es ist eine altbewährte Rezeptur, vielfach erprobt. Also: Da es die Hitze nicht weiterleitet, werden sich deine Hände im einen Moment noch kühl anfühlen, im nächsten aber schon, als würden sie gegen etwas glühend Heißes gepresst.« Er sah mich eindringlich an. »Ich rate dir, die Hände von irgendwelchen heißen Dingen zu nehmen,
bevor
die Substanz aufgebraucht ist.«
»Und woran erkenne ich, dass sie bald aufgebraucht sein wird?«
»Das kann man nicht erkennen«, sagte er einfach so. »Und deshalb rate ich dir, etwas anderes als deine bloßen Hände zu verwenden.«
»Na toll.«
»Wenn die Substanz mit Alkohol in Berührung kommt, wird sie sauer. Aber nur ein wenig, keine richtig scharfe Säure. Du hättest in diesem Fall genug Zeit, sie abzuwaschen. Wenn sie mit geringen Mengen Wasser in Berührung kommt, wie zum Beispiel dem Wasser in deinem Schweiß, ist das kein Problem. Wenn es aber sehr viel Wasser ist, sagen wir mal, im Verhältnis hundert zu eins, wird sie feuergefährlich.«
»Und wenn sie mit Pisse in Berührung kommt, verwandelt sie sich in eine köstliche Süßigkeit, nicht wahr?« Ich lachte. »Hast du mit Wilem gewettet, wie viel von diesem Quatsch ich dir abkaufe? Es gibt doch keinen Stoff, der feuergefährlich wird, wenn er mit Wasser in Berührung kommt.«
Sim kniff die Augen zusammen und nahm einen leeren Schmelztiegel zur Hand. »Dann füll da mal welches rein«, sagte er.
|349| Immer noch lächelnd, nahm ich den Schmelztiegel und ging damit zu dem Wasserkanister, der in einer Ecke stand. Diese Kanister kannte ich schon aus dem Handwerkszentrum. Auch dort war reines Wasser enorm wichtig, vor allem, wenn es galt, beim Mischen von Ton und beim Abschrecken von Metallen Verunreinigungen zu vermeiden.
Ich goss ein wenig Wasser in den Tiegel und brachte ihn an den Tisch zurück. Sim tunkte seine benetzte Fingerkuppe hinein, quirlte mit dem Finger ein wenig darin herum und kippte das Wasser dann in die heiße Eisenpfanne.
Stichflammen schossen empor, mindestens einen Meter hoch, und verloschen dann langsam wieder. Sim stellte den leeren Schmelztiegel beiseite und sah mich mit ernster Miene an. »Sag es.«
Ich sah betreten auf meine Füße. »Ich habe nicht die geringste Ahnung von Alchemie.«
Sim nickte und wirkte erfreut. »Genau«, sagte er und wandte sich wieder dem Arbeitstisch zu. »Komm, wir gehen das noch mal durch.«
|350| Kapitel 32
Blut und Asche
L aub raschelte unter meinen Füßen, als ich das Waldstück nördlich der Universität durchquerte. Der Mondschein, der durchs kahle Astwerk der Bäume drang, war zu fahl, um klar sehen zu
Weitere Kostenlose Bücher