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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ich auch meine erste Adem-Söldnerin gesehen. (Man nennt diese Leute hier »Bluthemden«.) Sie ist kaum größer als ich und hat unglaubliche graue Augen. Sie ist hübsch, aber fremdartig und schweigsam und immer irgendwie am Zucken. Ich habe sie noch nicht kämpfen sehen und weiß auch nicht, ob ich das wirklich sehen will. Aber neugierig bin ich schon.
    Von der Harfe bin ich immer noch überaus angetan. Gegenwärtig wohne ich bei einem sehr begabten Mann (sein Name tut nichts zur Sache), um mein Harfenspiel zu verfollkommnen.
    |451|
Ich habe ein bisschen Wein getrunken, während ich Dir diesen Brief schrieb. Ich erwähne das nur, um die obige Flaschreibung von »vervollkommnen« zu entschuldigen. Falschschreibung. Kist. Du weißt schon, was ich meine
.
    Entschuldige bitte, dass ich Dir nicht schon früher geschrieben habe, aber ich bin viel umhergereist und habe erst jetzt die Möglichkeit, einen richtigen Brief zu schreiben. Und nachdem ich das nun getan habe, könnte es noch eine Weile dauern, bis ich einen Reisenden finde, der mir vertrauenswürdig genug erscheint, um dieses Schreiben mit seiner Hilfe auf den langen Weg zu Dir zu schicken.
    Ich denke oft und gern an Dich.
    Deine
    D.
     
    PS: Ich hoffe, der Lautenkasten leistet Dir gute Dienste.

    Elodins Seminar begann an diesem Tag sehr seltsam.
    Zum einen kam er tatsächlich pünktlich. Darauf waren wir nicht gefasst. Wir verbliebenen sechs Studenten hatten uns angewöhnt, die ersten zwanzig, dreißig Minuten der Veranstaltung damit zu verbringen, zu tratschen, Karten zu spielen und darüber zu meckern, wie wenig wir dort lernten. Wir bemerkten den Meister der Namenskunde erst, als er schon halb die Treppe des Hörsaals heruntergeschritten war und in die Hände klatschte, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen.
    Der zweite seltsame Umstand war, dass Elodin seine Amtstracht trug. Ich hatte ihn zwar schon früher darin gesehen, wenn es der Anlass verlangte, doch er legte sie stets nur widerwillig an. Sogar bei den Zulassungsprüfungen wirkte sein Gewand meist zerknittert und ungepflegt.
    An diesem Tag jedoch trug er es, als sei es ihm ernst damit. Und es sah aus wie frisch gewaschen. Auch sein Haar war nicht, wie sonst üblich, zerzaust, sondern wirkte frisch geschnitten und gekämmt.
    Vorn im Saal angelangt, erklomm er das Podium und trat ans |452| Pult. Das ließ uns mehr als alles andere aufmerken. Das Pult hatte Elodin sonst stets ignoriert.
    »Vor langer Zeit«, sagte er ohne jede Vorrede, »war das hier ein Ort, an den die Menschen kamen, um Geheimnisse zu erfahren. Männer und Frauen kamen an die Universität, um das Wesen der Welt zu studieren.«
    Er sah uns an. »An der damaligen Universität war keine Kunst so gefragt wie die Namenskunde. Alles andere erschien dagegen banal. Die Namenskundler schritten wie Halbgötter durch die Straßen dieses Orts. Sie vollbrachten schreckliche und wunderbare Dinge, und alle anderen neideten es ihnen.
    Nur wenn sie gut in Namenskunde waren, konnten Studenten zu höheren Rängen aufsteigen. Ein Alchemist, der keine Ahnung von Namenskunde hatte, wurde als bedauernswerter Tropf angesehen und genoss nicht mehr Respekt als ein einfacher Koch. Die Sympathie wurde zwar hier vor Ort erfunden, aber ein Sympathiker, der sich nicht auch auf Namenskunde verstand, hätte genauso gut auch ein Droschkenkutscher sein können. Und ein Handwerkskünstler der Magie galt, wenn er nicht auch die Namenskunde beherrschte, wenig mehr als ein Schuster oder Schmied.
    Sie alle kamen, um die Namen der Dinge zu erlernen«, sagte Elodin, und seine dunklen Augen blickten uns eindringlich an, und seine volltönende Stimme wühlte uns auf. »Aber die Namenskunde lässt sich nun einmal nicht lehren, indem man Regeln pauken lässt oder etwas zum Auswendiglernen aufgibt. Jemandem beizubringen, ein Namenskundler zu sein, ist, als wollte man ihm beibringen, sich zu verlieben. Es ist nicht zu machen. Es ist aussichtslos.«
    Da lächelte der Meister der Namenskunde ein wenig, und zum ersten Mal sah er wieder so aus, wie wir ihn kannten. »Aber dennoch versuchten Studenten, es zu lernen. Und Professoren versuchten, es ihnen beizubringen. Und manchmal gelang es ihnen sogar.«
    »Fela!«, sagte Eldodin, zeigte auf sie und winkte sie herbei. »Komm.«
    Fela erhob sich von ihrem Platz und betrat sichtlich nervös das Podium.
    »Ihr alle habt euch einen Namen ausgesucht, den ihr zu erlernen |453| hofft«, sagte Elodin und ließ den Blick in die Runde schweifen.

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