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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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zahllosen vergeblichen Märsche nach Imre, um nach Denna zu suchen, gelang es mir schließlich, mein Projekt im Handwerkszentrum abzuschließen.
    Ich hätte gern noch eine Spanne gehabt, um einige weitere Tests durchzuführen und noch ein bisschen an der Sache zu feilen, aber mir blieb nun keine Zeit mehr. Die Auslosung der Prüfungstermine rückte immer näher, und bald darauf waren meine Studiengebühren fällig. Bevor ich mein Projekt verkaufen konnte, brauchte ich Kilvins Genehmigung dafür.
    Und so geschah es mit beträchtlicher Beklommenheit, dass ich schließlich an seine Bürotür klopfte.
    Der Meister der Handwerkskunst saß über seine Werkbank gebeugt und löste vorsichtig die Schrauben aus dem Bronzegehäuse einer Kompressionspumpe. Ohne hochzusehen sagte er: »Ja, Re’lar Kvothe?«
    »Ich bin fertig, Meister Kilvin.«
    Er sah mich blinzelnd an. »Bist du das, ja?«
    »Ja, und ich wollte einen Termin ausmachen, damit ich es Euch vorführen kann.«
    Kilvin legte die Schrauben in ein Kästchen und klopfte sich die Hände ab. »Dafür habe ich sofort Zeit.«
    Ich nickte und ging dann voraus – durch die Werkstatt, in der geschäftiges Treiben herrschte, und am Lager vorbei zu dem separaten Raum, den Kilvin mir zugewiesen hatte. Ich zückte den Schlüssel und schloss die schwere Holztür auf.
    |457| Dieser Raum war recht groß und hatte einen eigenen Feuerspeier, Amboss und Dunstabzug, eine Löschbrause und noch diverse weitere große Apparaturen. Ich hatte die Werkbank zur Seite geschoben, um den halben Raum frei zu haben, einmal abgesehen von etlichen dicken Strohballen, die ich an einer Wand aufgestapelt hatte.
    Vor diesen Strohballen hing eine schlichte Vogelscheuche von der Decke. Sie trug mein angesengtes Hemd und eine Hose aus Sackleinen. Ein Teil von mir hätte in der Zeit, die es mich gekostet hatte, die Hose zu nähen und die Figur mit Stroh auszustopfen, gern noch ein paar weitere Tests durchgeführt. Doch letztlich bin ich zuallererst ein fahrender Theatermann. Und als solcher konnte ich die Gelegenheit für eine effektvolle Darbietung nicht ungenutzt verstreichen lassen.
    Ich schloss die Tür hinter uns, und Kilvin sah sich neugierig um. Da mein Werk für sich selbst sprechen sollte, holte ich die Armbrust hervor und überreichte sie ihm.
    Die Miene des hünenhaften Meisters verfinsterte sich. »Re’lar Kvothe«, sagte er in missbilligendem Ton. »Sage mir bitte, dass du die Arbeit deiner Hände nicht auf die Verbesserung eines solchen abscheulichen Dings vergeudet hast.«
    »Vertraut mir, Meister Kilvin«, sagte ich und hielt ihm die Waffe weiter hin.
    Er sah mich noch einmal eindringlich an, nahm dann die Armbrust und begann sie mit der Sorgfalt eines Mannes zu betrachten, der tagaus tagein Umgang mit tödlichen Gerätschaften hat. Er betastete die Sehne und beäugte den geschwungenen Metallbogen.
    Nach etlichen langen Minuten nickte er, setzte einen Fuß in den Stegreif und spannte die Waffe, was ihn keinerlei Mühe zu kosten schien. Ich war wieder einmal verblüfft über seine Bärenkräfte. Mir hingegen taten die Schultern weh, und ich hatte Blasen an den Händen, nachdem ich mich in den vergangenen Tagen mit dem störrischen Ding abgeplagt hatte.
    Ich überreichte ihm einen schweren Bolzen, und er beäugte auch den. Er wirkte zunehmend perplex. Ich wusste auch wieso. Die Armbrust schien keinerlei Modifikationen oder Runen aufzuweisen. Ebenso wenig der Bolzen.
    |458| Kilvin spannte ihn ein und sah mich mit erhobener Augenbraue an.
    Ich wies mit großer Geste auf die Vogelscheuche und gab mich zuversichtlicher, als ich war. Meine Hände waren schweißnass, und im Magen hatte ich ein sehr ungutes Gefühl. Tests waren gut und schön. Tests waren wichtig. Tests waren wie Theaterproben. Doch das einzige, was wirklich zählt, ist das, was vor Publikum geschieht. Das ist eine Wahrheit, die jeder Theatermensch kennt.
    Kilvin zuckte die Achseln und legte die Armbrust an. Vor seiner breiten Schulter sah sie geradezu klein aus. Dann zielte er und ließ sich Zeit dabei. Ich war erstaunt zu sehen, dass er ganz ruhig halb einatmete, um dann beim langsamen Ausatmen abzudrücken.
    Die Armbrust zuckte, die Sehne schnellte nach vorn, und der Bolzens schoss heraus.
    Ein lautes, metallisches Scheppern folgte, und der Bolzen erstarrte im Flug, als wäre er an eine unsichtbare Wand geprallt. Er fiel auf den Steinboden, mitten im Raum, fünf Meter von der Vogelscheuche entfernt.
    Da konnte ich nicht mehr an

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