Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Gebrauch neu gespannt werden muss – wie hat das Gerät dann meinen zweiten Bolzen aufgehalten?«
    Ich deutete auf ein Diagramm in der Mitte des Blatts. »So ein Gerät wäre ja nicht sehr nützlich, wenn es nur einen einzigen Pfeil aufhalten könnte«, sagte ich. »Oder nur Pfeile, die aus einer bestimmten Richtung kommen. Ich habe es so konstruiert, dass es acht kreisförmig angebrachte Federn besitzt. Es sollte in der Lage sein, gleichzeitig Pfeile aus verschiedenen Richtungen aufzuhalten. Wohlgemerkt: Theoretisch. Ich bin noch nicht dazu gekommen, das zu testen.«
    |461| Kilvin sah wieder zu der Vogelscheuche hinüber. »Meine beiden Schüsse kamen aus der gleichen Richtung«, sagte er. »Wie konnte der zweite aufgehalten werden, wenn die betreffende Feder doch bereits ausgelöst war?«
    Ich hob den Pfeilfänger an dem Ring empor, den ich oben am Gehäuse angebracht hatte, und zeigte Kilvin, wie er sich seitlich drehen konnte. »Er wird an einem Drehring aufgehängt«, erklärte ich. »Die von dem ersten Bolzen verursachte Erschütterung hat das Gerät in eine leichte Bewegung versetzt, und das hat eine andere Feder in Stellung gebracht. Und selbst wenn das nicht geschehen wäre: Die Energie des heranfliegenden Pfeils dreht es zu der nächsten noch gespannten Feder, so wie sich eine Wetterfahne mit dem Wind dreht.«
    Letzteres hatte ich nicht direkt geplant, es war vielmehr eine glückliche Fügung gewesen, aber ich sah keinen Grund, Kilvin das zu gestehen.
    Ich berührte die roten Punkte, die auf zwei der acht Seiten des Pfeilfängers zu sehen waren. »Die zeigen an, welche Federn bereits ausgelöst wurden.«
    Kilvin nahm das Gerät in die Hände und drehte es hin und her. »Und wie spannt man die Federn nach?«
    Ich zog ein einfaches Metallgerät unter der Werkbank hervor, kaum mehr als ein speziell geformtes Eisenstück, mit einem langen Hebel daran. Dann zeigte ich Kilvin die achteckige Öffnung in der Unterseite des Pfeilfängers. Ich steckte den Fänger auf das Metallgerät und betätigte den Hebel mit dem Fuß, bis ein eindringliches, metallisches Einrasten ertönte. Dann drehte ich den Pfeilfänger und wiederholte den Vorgang.
    Kilvin hob den Pfeilfänger empor und drehte ihn um. »Ganz schön schwer«, bemerkte er.
    »Es musste stabil ausgelegt sein«, sagte ich. »Ein Armbrustbolzen kann eine fünf Zentimeter dicke Eichenbohle durchschlagen. Und die Federn müssen mit mindestens der dreifachen Wucht hervorschießen, um den Pfeil aufhalten zu können.«
    Kilvin schüttelte den Pfeilfänger und hielt ihn sich ans Ohr. Er gab keinerlei Geräusche von sich. »Und was ist, wenn die Pfeilspitzen |462| nicht aus Metall bestehen?«, fragte er. »Die Räuber der Vi Sembi verwenden angeblich Feuerstein oder Obsidian.«
    Ich sah auf meine Hände hinab und seufzte. »Nun ja …«, sagte ich. »Wenn die Pfeilspitzen nicht aus irgendeiner Art von Eisen bestehen, würde der Pfeilfänger nicht ausgelöst, wenn sie auf sieben Meter herankämen.«
    Kilvin ließ ein unverbindliches Ächzen hören und stellte das Gerät etwas unsanft wieder auf der Werkbank ab.
    »Aber«, sagte ich frohgemut, »wenn sie bis auf fünf Meter herankämen, würde jedes beliebige Stück aus scharfem Stein oder Glas eine andere Kombination von Bindungen auslösen.« Ich pochte auf meinen Bauplan. Ich war stolz darauf, denn ich hatte auch den Weitblick besessen, die darin verbauten Obsidiane mit der Sygaldrie für gehärtetes Glas zu versehen. So würden sie unter dem Aufprall nicht zerspringen.
    Kilvin warf einen Blick auf den Plan, grinste dann stolz und lachte aus voller Brust. »Gut.
Gut
. Und was ist, wenn der Pfeil eine Knochen- oder Elfenbeinspitze besitzt?«
    »Die Runen für Knochen vertraut man einem so rangniederen Re’lar wie mir leider nicht an«, sagte ich.
    »Und wenn man es täte?«
    »Dann würde ich sie nicht nutzen«, sagte ich. »Denn dann müsste man ja befürchten, dass jedes kleine Kind, das ein Rad schlägt, den Pfeilfänger mit einer schnellen Bewegung eines dünnen Teils seines Schädels auslösen könnte.«
    Kilvin nickte anerkennend. »Ich dachte eher an ein galoppierendes Pferd«, sagte er. »Aber du hast hiermit deine Klugheit unter Beweis gestellt. Du hast gezeigt, dass du mit der Sorgfalt eines wahren magischen Handwerkskünstlers zu Werke gehst.«
    Ich wandte mich wieder dem Bauplan zu und zeigte auf etwas. »Apropos, Meister Kilvin: Bei einer Annäherung auf drei Meter würde auch ein sich schnell bewegender,

Weitere Kostenlose Bücher