Die Furcht des Weisen / Band 1
ich hatte zufällig genau dasselbe gedacht. Ein kalter Schauer überlief mich. Ich hatte bisher nicht in Betracht gezogen, der Maer könnte trotz meiner Bemühungen sterben. Doch als ich ihn jetzt hinfällig, zitternd und aschfahl im Gesicht vor mir liegen sah, begriff ich plötzlich, dass er die Nacht vielleicht nicht überleben würde.
»Zunächst einmal möchte ich Euch das geben, Euer Gnaden.« Ich zog eins der Fläschchen heraus, die ich in der Stadt gekauft hatte.
»Schnaps?«, fragte der Maer ein wenig erstaunt. Ich schüttelte den Kopf und öffnete es. Er schnupperte daran, rümpfte die Nase und sank auf das Kissen zurück. »Bei Gott! Als ob das Sterben nicht schlimm genug wäre. Lebertran?«
Ich nickte ernst. »Nehmt zwei große Schlucke, Euer Gnaden. Er hilft Euch, gesund zu werden.«
Doch der Maer machte keine Anstalten zu trinken. »Ich habe das Zeug noch nie hinuntergebracht und konnte zuletzt nicht einmal Tee bei mir behalten. Warum soll ich mich damit abquälen, nur um es wieder zu erbrechen?«
Ich nickte und verstöpselte das Fläschchen wieder. »Dann gebe ich Euch etwas gegen die Übelkeit.« Auf dem Nachttisch stand ein Topf mit Wasser, und ich bereitete ihm eine Tasse Tee zu.
Der Maer folgte meinen Bewegungen mit den Augen. »Was schüttest du da hinein?«
»Ein Mittel gegen die Übelkeit und etwas, das Euch hilft, das Gift in |586| Eurem Körper loszuwerden. Außerdem ein wenig Laudanum gegen die Sucht Eures Körpers nach Ophalum. Und Tee. Nehmt Ihr Zucker?«
»Normalerweise nicht. Aber wahrscheinlich schmeckt der Tee ohne Zucker wie Spülwasser.« Ich gab einen Löffel Zucker dazu, rührte um und reichte ihm die Tasse.
»Du zuerst«, sagte Alveron. Er durchbohrte mich mit seinen scharfen grauen Augen und lächelte wölfisch.
Ich zögerte, aber nur einen Moment. »Auf Eure Gesundheit«, sagte ich und nahm einen Schluck. Ich verzog das Gesicht und fügte noch einen Löffel Zucker hinzu. »Ihr habt richtig vermutet. Er schmeckt nach Spülwasser.«
Der Maer nahm die Tasse mit beiden Händen und begann mit kleinen, entschlossenen Schlucken zu trinken. »Abscheulich«, stöhnte er. »Aber besser als nichts. Weißt du, wie schrecklich es ist, Durst zu haben, aber nicht trinken zu können – aus Angst, dass man alles gleich wieder erbricht? Das wünsche ich nicht einmal einem Hund.«
»Trinkt langsam«, mahnte ich. »Euer Magen müsste sich bald beruhigen.«
Ich ging ins Nebenzimmer und schüttete Caudicus’ neue Arznei in die Futterspender des Käfigs. Zu meiner Erleichterung tranken die Vögel den mit der Arznei durchsetzten Nektar willig. Ich hatte schon befürchtet, der veränderte Geschmack oder ein angeborener Selbsterhaltungstrieb könnten sie davon abhalten.
Außerdem befürchtete ich, Blei schade den Flittichen womöglich gar nicht oder die Auswirkungen machten sich erst später und nicht schon in wenigen Tagen bemerkbar. Der Maer durfte nicht die Geduld verlieren. Vielleicht unterschätzte ich seine Krankheit aber auch, vielleicht hatte ich mich überhaupt in allem geirrt.
Ich kehrte an sein Bett zurück. Er hielt die leer getrunkene Tasse im Schoß. Ich bereitete ihm eine zweite derselben Art zu, und er trank sie rasch. Dann warteten wir etwa eine Viertelstunde stumm.
»Wie geht es Euch, Euer Gnaden?«
»Besser«, gab er widerwillig zu. Seine Aussprache war ein wenig undeutlich geworden. »Viel besser.«
»Das liegt wahrscheinlich am Laudanum«, bemerkte ich. »Aber auch Euer Magen müsste sich inzwischen beruhigt haben.« Ich |587| hob das Fläschchen mit dem Lebertran. »Zwei große Schlucke, Euer Gnaden.«
»Hilft wirklich sonst nichts?«
»Wenn ich Zugang zu den Apotheken der Universität hätte, könnte ich vielleicht etwas besorgen, das besser schmeckt, aber im Moment habe ich nur das.«
»Mach mir noch eine Tasse Tee zum Hinunterspülen.« Er ergriff das Fläschchen mit dem Lebertran, nahm zwei winzige Schlucke und gab es mir mit vor Ekel verzerrtem Gesicht zurück.
Ich seufzte unmerklich. »Wenn Ihr weiter so langsam trinkt, sitzen wir noch den ganzen Abend hier. Zwei große Schlucke bitte, so wie Matrosen Schnaps trinken.«
Der Maer starrte mich finster an. »Sprich nicht mit mir wie mit einem Kind.«
»Dann benehmt Euch wie ein Mann«, erwiderte ich barsch. Er schwieg entgeistert. »Zwei Schlucke alle vier Stunden. Bis morgen sollte das Fläschchen leer sein.«
Seine grauen Augen verengten sich zu drohenden Schlitzen. »Vergiss nicht, mit wem du
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