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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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würde.
    Doch es kam ganz anders. Bredon spielte bar jeder Rücksicht und setzte seine Steine ohne das geringste Zögern. Er besiegte mich so mühelos, wie man ein Blatt Papier in zwei Hälften reißt.
    Das Spiel war aus, noch ehe ich begriff, wie mir geschah.
    »Noch einmal«, sagte Bredon. Es klang wie ein Befehl. So hatte ich ihn noch nie reden hören.
    Ich bot all meine Kräfte auf, verlor aber noch schlimmer. Ich kam mir vor wie ein junger Hund, der gegen einen Wolf kämpft. Nein, ich war eine Maus in den Fängen einer Eule. Es konnte nicht einmal von einem Kampf die Rede sein. Mir blieb nur die Flucht.
    Doch ich rannte nicht schnell genug. Die Partie war schneller vorbei als die vorangegangene.
    »Noch einmal«, befahl Bredon.
    Wir spielten wieder. Diesmal war ich gleichsam von vornherein erledigt. Bredon ging so ruhig und leidenschaftslos zu Werke wie ein Fleischer mit einem Ausbeinmesser. Die Partie dauerte ungefähr so lange, wie man braucht, ein Huhn auszunehmen und zu entbeinen.
    Danach runzelte Bredon die Stirn und schüttelte sich die Hände mit einigen raschen Bewegungen beiderseits des Spielbretts aus, als habe er sie gerade gewaschen und wollte sie trocknen.
    »Gut«, sagte ich und lehnte mich zurück. »Ich habe Euch verstanden. Ihr habt mich bisher geschont.«
    »Nein«, erwiderte Bredon grimmig. »Das meinte ich damit überhaupt nicht.«
    »Was dann?«
    |631| »Ich versuche dir das Spiel beizubringen. Das ganze Spiel, nicht nur die einzelnen Züge. Es geht nicht darum, irgendwelche Regeln so gut wie möglich zu befolgen, sondern mutig zu spielen, gefährlich und elegant.«
    Er klopfte mit den Fingern auf das Spielbrett. »Jeder Mensch bei einigermaßen klarem Verstand ist imstande, eine Falle zu entdecken, die ihm gestellt wird. Die Falle dagegen kühn gegen ihren Urheber zu wenden – das ist Größe.« Er lächelte durch seine grimmige Miene hindurch. »Und eine Falle zu stellen, obwohl man weiß, dass der andere sie womöglich entdeckt und umkehrt, und ihn trotzdem zu besiegen – das ist noch einmal so groß.«
    Bredons Miene besänftigte sich, und er klang fast flehend. »Tak spiegelt den Lauf der Welt. Es gleicht einem Spiegel, den wir dem Leben vorhalten. Einen Tanz kann man nicht gewinnen. Der Sinn des Tanzens ist die Bewegung des Körpers. In einer von guten Spielern gespielten Partie Tak zeigt sich das Wirken des menschlichen Geistes. Sie ist schön für den, der Schönheit zu sehen vermag.«
    Er zeigte auf die Steine zwischen uns, die noch von meiner letzten, vernichtenden Niederlage kündeten. »Sieh dir das an. Warum sollte ich eine solche Partie gewinnen wollen?«
    Ich betrachtete das Brett. »Es geht also nicht um den Sieg?«, fragte ich.
    »Es geht darum, ein schönes Spiel zu spielen!«, rief Bredon leidenschaftlich. Er hob mit einem Achselzucken die Hände, und auf seinem Gesicht erschien ein seliges Lächeln. »Was sollte ich anderes gewinnen wollen als ein schönes Spiel?«

|632| Kapitel 66
In Reichweite
    S päter am Abend saß ich allein in dem Zimmer, bei dem es sich vermutlich um mein Wohnzimmer handelte. Oder den Salon. Ich kannte ehrlich gesagt den genauen Unterschied gar nicht.
    Zu meiner Überraschung fand ich an meinen neuen Räumlichkeiten großen Gefallen. Nicht wegen des zusätzlichen Platzes oder des schöneren Blicks in den Garten und auch nicht, weil mir die Einlegearbeiten des Marmorbodens besser gefielen. Nicht einmal wegen des eigenen, ungewöhnlich gut gefüllten Weinschranks, der mich natürlich sehr erfreute.
    Nein, meine neuen Räume gefielen mir vor allem wegen der Polsterstühle ohne Armlehnen, die sich hervorragend zum Lautespielen eigneten. Längere Zeit auf einem Stuhl mit Armlehnen zu spielen ist unbequem. In meiner letzten Unterkunft hatte ich deshalb zuletzt meist auf dem Boden gesessen.
    Ich beschloss, das Zimmer mit den guten Stühlen vorerst mein Lautenzimmer oder auch Spielzimmer zu nennen. Es würde eine Weile dauern, bis ich einen passenderen, pompösen Namen fand.
    Ich brauche nicht zu sagen, wie froh ich über die Wende war, die mein Schicksal genommen hatte. Zur Feier öffnete ich eine Flasche erlesenen roten Felorerweins und holte meine Laute aus dem Kasten.
    Hastig und etwas holprig begann ich mit
Tintatatornin,
um meine Finger aufzuwärmen. Anschließend spielte ich eine Weile vor mich hin und schloss nach und nach wieder Bekanntschaft mit dem Instrument. Als ich eine halbe Flasche lang gespielt hatte, klang meine Musik so entspannt und

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