Die Furcht des Weisen / Band 1
Blut
W il und Sim schafften es schließlich mit Müh und Not, mich aus der Bibliothek loszueisen. Ich sträubte mich und beschimpfte sie, aber sie blieben hartnäckig, und so trotzten wir drei schon bald dem kalten Wind auf der Straße nach Imre.
Wir gingen ins EOLIAN und belegten einen Tisch in der Nähe des östlichen Kamins, von wo aus man einen guten Blick auf die Bühne hatte und sich gleichzeitig den Rücken wärmen konnte. Nach ein, zwei Gläschen spürte ich, wie meine Büchergier allmählich nachließ. Wir unterhielten uns und spielten Karten, und irgendwann fing ich an, mich zu vergnügen, obwohl ich wusste, dass Denna wahrscheinlich irgendwo dort draußen war und an Ambroses Arm hing.
Einige Stunden später hing ich auf meinem Stuhl, schläfrig von der Kaminwärme, während Wil und Sim darüber zankten, ob der Hochkönig von Modeg ein richtiger Herrscher oder nur eine Repräsentationsfigur sei. Ich war schon fast eingeschlafen, als unsanft eine schwere Flasche auf unserem Tisch abgestellt wurde, gefolgt von dem zarten Klimpern von Weingläsern.
Denna stand an unserem Tisch. »Spielt mit«, sagte sie leise. »Ihr habt auf mich gewartet. Ich hab mich verspätet, und ihr seid ärgerlich.«
Mit schläfrigen Augen richtete ich mich auf und mühte mich, richtig wach zu werden.
Sim ging sofort auf diese Herausforderung ein. »Eine Stunde!«, sagte er, funkelte sie wütend an und pochte mit zwei Fingern auf den Tisch. »Und du glaubst doch wohl nicht, dass du das mit einer Flasche Wein ungeschehen machen kannst. Ich verlange eine Entschuldigung!«
|207| »Es ist nicht ausschließlich meine Schuld«, sagte Denna verlegen. Sie wandte sich um und wies zum Tresen.
Ich sah hinüber, fürchtete Ambrose dort zu erblicken, wie er mich mit seinem verdammten Hut auf dem Kopf selbstgefällig ansah. Doch da stand nur ein Kealde mit schütterem Haar. Er verbeugte sich knapp in unsere Richtung, eine seltsame Mischung aus Bekenntnis und Entschuldigung.
Sim blickte ihn finster an, wandte sich dann wieder Denna zu und deutete mit einer widerwilligen Geste auf den freien Stuhl mir gegenüber. »Also gut. Spielen wir jetzt Corners, oder was?«
Denna setzte sich und saß nun mit dem Rücken zum Saal. Sie beugte sich zu Simmon hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Perfekt«, sagte sie.
»Ich hab ihn auch böse angesehen«, sagte Wilem.
Denna schob ihm die Flasche hinüber. »Und dafür darfst du einschenken.« Sie stellte uns die Gläser hin. »Ein Geschenk meines äußerst hartnäckigen Verehrers.« Sie seufzte. »Immer müssen sie einem irgendwas schenken.« Sie sah mich an. »Du bist ja so still.«
Verlegen rieb ich mir das Gesicht. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich heute Abend zu sehen«, sagte ich. »Ich war gerade schon fast eingenickt.«
Wilem kredenzte uns den hellroten Wein, und Denna begutachtete das Etikett der Flasche. »Cerbeor«, sagte sie nachdenklich, trank einen Schluck und nickte. »Nicht schlecht. Steht er immer noch am Tresen?«
»Ja«, sagte ich, ohne hinzusehen.
»Na dann«, sagte sie und lächelte, »müsst ihr mich wohl noch ein Weilchen erdulden.«
»Hast du schon mal Corners gespielt?«, fragte Simmon hoffnungsfroh.
»Leider nicht«, sagte Denna. »Aber ich lerne schnell.«
Sim erklärte ihr, mit Wils und meiner Hilfe, die Regeln. Denna stellte ein paar Fragen, die erkennen ließen, dass sie das Spiel in seinen Grundzügen verstanden hatte. Ich freute mich. Da sie mir gegenüber saß, würde sie meine Spielpartnerin sein.
»Worum spielt ihr denn normalerweise?«, fragte sie.
|208| »Kommt drauf an«, sagte Wil. »Manchmal rechnen wir pro Spiel, manchmal pro Runde.«
»Dann pro Runde«, sagte Denna. »Wie viel?«
»Wir können ja erst mal eine Übungsrunde machen«, sagte Sim und strich sich das Haar aus den Augen. »Da du ja noch eine blutige Anfängerin bist.«
Denna kniff die Augen zusammen. »Ich will keine Extrawurst.« Sie griff in eine Tasche und legte eine Münze auf den Tisch. »Ist ein Jot zu viel für euch?«
Es war zu viel für mich, zumal mit einer Partnerin, die das Spiel gerade erst lernte. »Nimm dich in Acht vor den beiden«, sagte ich. »Die spielen um Blut.«
»In Wirklichkeit«, sagte Wilem, »habe ich für Blut keinerlei Verwendung und spiele vielmehr um Geld.« Er suchte in seinem Geldbeutel, bis er einen Jot fand, den er dann mit Nachdruck auf den Tisch legte. »Ich wäre auch bereit, eine Übungsrunde zu spielen, aber wenn ihr der Gedanke
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