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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Eigentlich. Vashet hatte mich den Unterschied zwischen »jemanden zu Boden werfen« und »jemanden auf den Boden schleudern« gelehrt. Ersteres tat man bei einem Wettkampf, bei dem auch ein gewisser Anstand galt, das zweite, wenn man den Gegner in einem wirklichen Kampf ernsthaft verletzen oder töten wollte.
    Bevor ich Carceret zu nahe kam, nahm ich die mir inzwischen vertraute Kampfhaltung ein. Ich hob die Hände, ging in die Knie und widerstand der Versuchung, mich auf die Fußballen zu stellen. Ich wäre mir dann zwar schneller vorgekommen, hätte aber leichter das Gleichgewicht verloren. Dann holte ich tief Luft, um mich zu beruhigen, und ging langsam auf Carceret zu.
    Carceret duckte sich ebenfalls und täuschte, kaum dass ich auf Reichweite an sie herangekommen war, einen Angriff vor. Sie zuckte nur ganz leicht mit Hand und Schulter, aber ich fiel, ängstlich wie ich war, darauf herein und machte wie ein erschrecktes Kaninchen einen Satz rückwärts.
    Carceret senkte die Hände und richtete sich auf.
Belustigung,
gab sie mir mit einer ausholenden Gebärde zu verstehen.
Einladung.
Sie winkte mir mit beiden Händen. Ich hörte, wie einige Zuschauer unter mir lachten.
    Ich fühlte mich gedemütigt, wollte aber unbedingt ausnützen, dass Carceret die Hände gesenkt hatte. Also trat ich rasch auf sie zu und griff sie vorsichtig mit den Messerhänden an. Zu vorsichtig. Sie wich mir aus und brauchte nicht einmal die Hände zu heben.
    Ich wusste, dass ich ihr im Kampf hoffnungslos unterlegen war. Meine einzige Hoffnung bestand darin, sie noch mehr gegen mich aufzubringen. Wenn ich sie noch wütender machen konnte, beging sie womöglich einen Fehler und dann konnte ich sie vielleicht besiegen. »Zuerst kam Chael«, sagte ich und schenkte ihr mein breitestes, barbarischstes Lächeln.
    Carceret kam einen halben Schritt näher. »Ich werde dir deine schönen Hände zerquetschen«, zischte sie in akzentfreiem Aturisch. Noch während sie sprach, streckte sie plötzlich die Hände aus, als wollte sie mich packen.
    Dabei wollte sie mich nur erschrecken, damit ich zurückwich und das Gleichgewicht verlor. Am liebsten hätte ich das auch getan, als ich den giftigen Hass in ihrer Stimme wahrnahm.
    Doch ich war bereit und widerstand dem reflexartigen Bedürfnis, nach hinten auszuweichen. Einen kurzen Augenblick lang stand ich wie gelähmt da und bewegte mich weder vor noch zurück.
    Natürlich wartete Carceret genau darauf, auf jenes kurze Zögern, während ich mit meinem Fluchtinstinkt rang. Sie trat mit einem einzigen Schritt auf mich zu, packte mich am Handgelenk und umschlang es wie mit einer eisernen Klammer.
    Ohne nachzudenken führte ich Celeans doppelhändige Version des Löwenbrechers aus. Wenn ein kleines Mädchen sich damit gegen einen erwachsenen Mann wehren konnte, konnte sich vielleichtauch ein hoffnungslos unterlegener Musiker damit von einer ademischen Söldnerin befreien.
    Ich bekam meine Hand frei, und der ungewohnte Griff brachte Carceret aus dem Konzept, zwar nur ein wenig, aber ich nutzte es sofort aus und versetzte ihr rasch einen Gerstenstreuer. Dazu schlug ich mit den Knöcheln auf ihren Oberarmmuskel.
    Zwar konnte ich nicht wirklich hart zuschlagen, dazu stand ich viel zu nahe vor ihr. Aber wenn es mir gelang, den Nerv zu treffen, bekam sie davon eine taube Hand. Damit schwächte ich nicht nur ihre linke Seite, sondern sie konnte dann auch die beidhändigen Bewegungen des Ketan nicht mehr ausführen, ein wichtiger Vorteil.
    Da ich immer noch nahe vor ihr stand, ließ ich auf den Gerstenstreuer sofort einen Drehenden Mühlstein folgen in Form eines raschen, heftigen Stoßes, der sie aus dem Gleichgewicht bringen sollte. Ich bekam Carceret auch mit beiden Händen zu fassen, aber obwohl ich sie vielleicht eine Handbreit nach hinten stoßen konnte, war sie doch zu keinem Zeitpunkt in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren.
    Dann sah ich ihre Augen. Ich hatte geglaubt, sie sei schon zu Anfang sehr wütend gewesen, doch das war gar nichts im Vergleich zu jetzt, wo es mir tatsächlich gelungen war, sie zu treffen, und zwar nicht nur ein, sondern gleich zwei Mal. Ein Barbar mit kaum zwei Monaten Übung hatte sie vor den Augen der ganzen Schule zweimal geschlagen.
    Ich kann ihren Blick nicht beschreiben. Und selbst wenn ich es könnte, könntet ihr ihn euch nicht wirklich vorstellen. Ihr Gesicht war immer noch fast vollkommen unbewegt. Ich sage nur eins: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden gesehen,

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