Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
der so wütend war. Nicht Ambrose und nicht Hemme und auch nicht Denna, als ich ihr Lied kritisierte, oder den Maer, als ich ihm widersprach. Ihre Wut war eine kümmerliche Kerze im Vergleich zu dem tosenden Schmiedefeuer, das in Carcerets Augen loderte.
Doch trotz ihrer schäumenden Wut verlor Carceret keinen Moment die Beherrschung. Sie schlug nicht besinnungslos auf mich ein oder bleckte etwa die Zähne. Sie behielt ihre Worte für sich und befeuerte damit ihren Hass.
Ich konnte diesen Kampf unmöglich gewinnen. Doch meine in vielen hundert Stunden geübten Hände bewegten sich von selbst, um auszunützen, dass Carceret so nahe vor mir stand. Ich wollte sie festhalten, um einen Aufwärtsdonner auszuführen. Doch sie schlug meine Hände weg und griff dann ihrerseits mit einem Hafenschiffer an.
Wahrscheinlich rechnete sie gar nicht damit, mich zu treffen. Ein geschickterer Gegner wäre dem Angriff ausgewichen oder hätte ihn abgewehrt. Aber sie erwischte mich in einem Moment, in dem ich nicht gut im Gleichgewicht stand. Ich verlor die Balance und war entsprechend langsam, und sie erwischte mich mit dem Fuß in der Magengrube und trat zu.
Der Hafenschiffer ist kein schneller Tritt, der Knochen brechen soll. Er versetzt dem Gegner lediglich einen leichten Stoß, damit er das Gleichgewicht verliert. Da ich sowieso schon taumelte, warf er mich vollends um. Ich landete hart auf dem Rücken, rollte ein paar Mal über den Boden und blieb mit verdrehten Gliedern liegen.
Man könnte nun sagen, ich sei schlimm gestürzt und offenbar zu benommen gewesen, um mich aufzurappeln und weiterzukämpfen. Man könnte aber auch sagen, dass der Sturz zwar schlimm aussah, aber doch nicht so schlimm war, und ich habe auch tatsächlich schon schlimmere Stürze überstanden.
Ich persönlich denke, der Grat zwischen Benommenheit und weiser Absicht ist manchmal sehr schmal. Die Entscheidung darüber, wie schmal er ist, überlasse ich am besten euch.
Kapitel 127
Zorn
W as hast du dir dabei eigentlich gedacht?«, rief Tempi empört.
Enttäuschung, heftiger Tadel.
»Welcher Narr wirft sein Schwert weg?«
»Sie hat ihres zuerst weggeworfen!«, protestierte ich.
»Nur um dich hereinzulegen«, erwiderte Tempi. »Das war eine Finte.«
Ich schnallte mir Caesura auf den Rücken, so dass das Heft hinter meiner Schulter aufragte. Nach meiner Niederlage war die Zeremonie zu Ende gewesen. Magwyn hatte mir mein Schwert zurückgegeben, mich angelächelt und mir tröstend über die Hand gestrichen.
Ich sah, wie die Menge am Fuß des Hügels sich langsam zerstreute, und machte eine Geste zum Zeichen meines höflichen Unglaubens. »Hätte ich mein Schwert behalten sollen, wenn sie unbewaffnet war?«
»Natürlich!«
Uneingeschränkte Bejahung.
»Sie ist dir im Kampf fünffach überlegen. Wenn du dein Schwert behalten hättest, hättest du vielleicht eine Chance gehabt!«
»Tempi hat recht«, hörte ich Shehyn hinter mir sagen. »Den Gegner zu kennen entspricht dem Lethani. Wenn ein Kampf erst unvermeidlich ist, nutzt der kluge Krieger jede Chance.« Ich drehte mich um. Shehyn war den Weg vom Hügel heruntergekommen. Penthe stand neben ihr.
Ich drückte mit einer höflichen Handbewegung meine abweichende Überzeugung aus. »Wenn ich mein Schwert behalten und gesiegt hätte, hätten die Leute Carceret für dumm gehalten und michverachtet, weil ich mir einen Rang verschafft hätte, den ich nicht verdiene. Und wenn ich das Schwert behalten und trotzdem verloren hätte, wäre es eine Demütigung für mich gewesen. Beide Male wäre ich schlecht weggekommen.« Ich blickte zwischen Shehyn und Tempi hin und her. »Oder irre ich mich?«
»Nein«, sagte Shehyn. »Aber Tempi hat auch recht.«
»Der Sieg ist immer das Ziel«, sagte Tempi.
Entschieden.
Shehyn wandte sich an ihn. »Entscheidend ist der Erfolg. Dazu braucht man nicht immer den Sieg.«
Tempi machte die Geste für
Widerspruch bei allem Respekt
und wollte gerade etwas antworten, da fiel Penthe ihm ins Wort. »Hast du dich bei deinem Sturz verletzt, Kvothe?«
»Nicht schlimm«, sagte ich und bewegte vorsichtig den Rücken. »Vielleicht ein paar Prellungen.«
»Hast du eine Salbe?«
Ich schüttelte den Kopf.
Penthe nahm mich am Arm. »Ich habe eine bei mir zu Hause. Dann überlassen wir die beiden anderen jetzt ihrem Gespräch über Lethani. Es muss sich jemand um deine Prellungen kümmern.« Sie hielt meinen Arm mit der linken Hand, was ihrer Aussage einen seltsam unbeteiligten Ausdruck
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