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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Wir mussten die ganze Nacht auf dem nackten Steindach zubringen, mitten in einem tosenden Sturm.
    Erst am nächsten Vormittag beruhigte sich das Wetter so weit,dass wir in den Hof hinab um Hilfe rufen konnten. Da es anscheinend keinen Reserveschlüssel gab, ließ Lorren die Tür, die aufs Dach hinaus führte, von einigen kräftigen Bibliothekaren aufbrechen.
    Das wäre alles nicht weiter schlimm gewesen, hätte Elodin nicht, als es zu regnen begann, darauf bestanden, dass wir uns nackt ausziehen sollten, um das Gewitter buchstäblich mit Haut und Haaren zu erfahren. Unsere Kleider wickelten wir in ein Öltuch ein, das wir mit einem Ziegelstein beschwerten.
    Doch der Wind war stärker als erwartet, riss den Stein mitsamt unserem Kleiderbündel fort und schleuderte alles wie einen Arm voll Laub in den Himmel. Auf diese Weise verloren wir den Schlüssel. Er steckte in Elodins Hosentasche.
    So fanden Meister Lorren, sein Giller Distrel und drei kräftige Mitarbeiter uns beide splitternackt und klatschnass auf dem Dach der Bibliothek. Keine Viertelstunde später hatte die ganze Uni von der Geschichte erfahren. Elodin lachte sich über die ganze Sache kaputt, ich hingegen – obwohl ich es mittlerweile natürlich ebenfalls lustig finde – war alles andere als amüsiert.
    Ich will euch nicht damit langweilen, dass ich nun alle unsere Aktivitäten aufliste. Es sei nur gesagt, dass Elodin alles Mögliche anstellte, um meinen schlummernden Geist zu wecken. Alles Mögliche und Unmögliche.
    Und zu meinem nicht geringen Erstaunen machte sich der ganze Aufwand bezahlt. Ich rief in diesem Trimester dreimal den Namen des Windes.
    Das erste Mal brachte ich den Wind einen Moment lang dazu, sich zu legen, während ich mich mitten in der Nacht auf der großen Steinbrücke aufhielt. Elodin stand mir bei dieser Gelegenheit hilfreich zur Seite – was in diesem Fall bedeutet, dass er mich mit einer Reitgerte stupste. Ich war außerdem barfuss und ziemlich betrunken.
    Das zweite Mal geschah es ganz unerwartet, während ich im Lesesaal der Bibliothek studierte. Ich las gerade ein Buch über yllische Geschichte, als mir mit einem Mal die Luft in dem höhlenartigen Raum etwas zuflüsterte. Ich lauschte, wie Elodin es mir beigebracht hatte, und sprach dann ganz sacht einen Namen. Und ebenso sachtverwandelte sich der verborgene Wind in eine plötzliche Brise, die die Studenten erschreckte und die Bibliothekare in Panik versetzte.
    Der Name verschwand nur Minuten später wieder aus meinem Bewusstsein, doch so lange er dort verweilte, war ich mir absolut sicher, dass ich, wenn ich nur wollte, mit ebensolcher Leichtigkeit einen Sturm entfesseln oder einen Donnerschlag auslösen könnte. Dieses Wissen musste mir genügen. Wenn ich so etwas in der Bibliothek probiert hätte, hätte mich Lorren wahrscheinlich an den Daumen ans Hauptportal genagelt.
    Das alles haltet ihr vermutlich nicht für besonders beeindruckende Leistungen der Namenskunde, und damit habt ihr wohl recht. Doch ich rief in diesem Frühjahr den Wind noch ein drittes Mal herbei, und aller guten Dinge sind drei.

Kapitel 147

Schulden
     
    D a ich nun viel freie Zeit zur Verfügung hatte, mietete ich mir Mitte des Trimesters einen schnellen Zweispänner und unternahm damit einen Ausflug nach Tarbean.
    Die Hinfahrt dauerte den ganzen Reaving, und den Cendling verbrachte ich damit, Orte aufzusuchen, die einmal wichtig für mich gewesen waren und an denen ich alte Schulden zu begleichen hatte: bei einem Schuhmacher, der sehr freundlich zu einem unbeschuhten Jungen gewesen war, bei einem Gastwirt, der mich hin und wieder vor seinem Kamin hatte schlafen lassen, und bei einem Schneider, dem ich übel mitgespielt hatte.
    Einige Ecken von Waterside waren mir noch erstaunlich vertraut, andere erkannte ich überhaupt nicht wieder. Das war aber auch nicht weiter verwunderlich: Eine Stadt, die so groß und geschäftig ist wie Tarbean, ist einem beständigen Wandel unterworfen. Was mich verwunderte, war die seltsame Nostalgie, die ich diesem Ort gegenüber empfand, der doch so grausam zu mir gewesen war.
    Ich war zwei Jahre lang nicht mehr hier gewesen, und meine Zeit damals erschien mir nun wie aus einem anderen Leben.
    Der letzte Regen lag schon eine Spanne zurück, und die ganze Stadt war knochentrocken. Die schlurfenden Füße Hunderttausender Passanten wirbelten einen feinen Staub auf, der die Straßen der Stadt erfüllte. Dieser Staub setzte sich bald in meine Kleider, hing mir im Haar,

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