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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ihn mit eigener Hand gefertigt. Und ich habe euch eine Geschichtemitgebracht, eine Geschichte, die ihr noch euren Enkeln erzählen werdet.« Ich lächelte.
    Einen Augenblick herrschte Stille, dann brach ohrenbetäubender Lärm los. Alle redeten durcheinander.
    Meine Gefährten starrten mich entgeistert und ungläubig an. Dedan fasste sich als Erster. Er trat auf mich zu und nahm mich zu meiner Überraschung ein wenig unbeholfen in einen Arm. Erst jetzt sah ich, dass sein anderer Arm komplett geschient war.
    Ich sah ihn fragend an. »Bist du in eine Rauferei geraten?«, fragte ich. Vielstimmiger Lärm hüllte uns ein.
    Dedan schüttelte den Kopf. »Das war Hespe«, sagte er nur. »Dass ich der Fee nachrennen wollte gefiel ihr überhaupt nicht. Also hat sie mich … davon überzeugt, dass ich besser bleibe.«
    »Sie hat dir den Arm gebrochen?« Mir fiel ein, dass ich mit meinem letzten Blick noch gesehen hatte, wie Hespe ihn zu Boden drückte.
    Der Hüne senkte den Blick auf seine Füße. »Sozusagen. Sie hielt ihn fest, während ich mich von ihr losmachen wollte.« Er lächelte kleinlaut. »Man könnte wahrscheinlich sagen, dass wir ihn gemeinsam gebrochen haben.«
    Ich schlug ihm auf die unverletzte Schulter und lachte. »Das gefällt mir. Wirklich eine rührende Geschichte.« Ich hätte noch weitergeredet, doch im Raum war wieder Ruhe eingekehrt, und alle sahen uns oder besser mich an.
    Ich ließ den Blick umherschweifen und hatte plötzlich das Gefühl, fremd zu sein. Wie soll ich das erklären?
    Ich habe ja schon gesagt, dass ich nicht wusste, wie lange ich im Reich der Fae gewesen war. Jedenfalls eine sehr lange Zeit. Ich war so lange dort gewesen, dass es mir nicht mehr sonderbar vorkam. Ich hatte mich gleichsam eingelebt.
    Jetzt war ich in die Welt der Sterblichen zurückgekehrt, und der volle Schankraum berührte mich seltsam. Wie seltsam, sich in einem Zimmer aufzuhalten statt draußen unter freiem Himmel. Die aus dicken Brettern zusammengenagelten Tische und Bänke kamen mir primitiv und grob vor, und das unnatürlich helle Lampenlicht tat mir in den Augen weh.
    Ich hatte eine Ewigkeit nur in Gesellschaft Felurians verbracht, und im Vergleich dazu kamen mir die Menschen rings um mich her seltsam vor. Das Weiß ihrer Augen erschreckte mich. Sie rochen nach Schweiß, Pferden und Eisen, ihre Stimmen klangen hart und scharf und ihre Bewegungen waren steif und schwerfällig.
    Doch waren das nur oberflächliche Unterschiede. Ich fühlte mich in meinem eigenen Körper fremd. Wieder Kleider zu tragen verstörte mich geradezu, und ich hätte mich am liebsten wieder nackt ausgezogen. Meine Stiefel erschienen mir wie ein Gefängnis. Auf dem langen Weg zum Wirtshaus hatte ich ständig gegen das Verlangen ankämpfen müssen, sie auszuziehen.
    Unter den Gesichtern im Raum sah ich auch das einer kaum zwanzigjährigen jungen Frau. Sie hatte ein liebliches Antlitz, klare, blaue Augen und einen wie zum Küssen geschaffenen Mund. Unwillkürlich trat ich einen halben Schritt auf sie zu. Ich wollte sie allen Ernstes in die Arme schließen und …
    Ich hatte schon die Hand ausgestreckt, um ihr über den Hals zu streichen, da hielt ich abrupt inne. Ein Schwindel erfasste mich. Hier war doch alles anders. Bei dem Mann neben der Frau handelte es sich offensichtlich um ihren Gatten. Das war doch wichtig, nicht wahr? Zugleich kam es mir ganz belanglos vor. Warum küsste ich die Frau nicht längst? Warum war ich nicht nackt, aß Veilchen und spielte unter freiem Himmel Laute?
    Wieder sah ich mich im Raum um. Alles erschien mir auf einmal furchtbar lächerlich. All die Menschen, die auf Bänken saßen, mehrere Schichten von Kleidern trugen und mit Messer und Gabel aßen. Es wirkte so sinnlos und künstlich und zugleich so unglaublich komisch. Als spielten sie, ohne es zu wissen, ein Spiel. Es kam mir wie ein Witz vor, den ich bisher nicht verstanden hatte.
    Deshalb lachte ich. Ich lachte nicht laut und auch nicht besonders lange, doch klang es schrill und ausgelassen, erfüllt von einem seltsamen Entzücken. Es war kein menschliches Lachen, und es zog über die Anwesenden hin wie der Wind über ein Weizenfeld. Die es hörten, rutschten auf ihren Plätzen hin und her und sahen mich neugierig, einige auch ängstlich an. Einige erschauerten und wichen meinem Blick aus.
    Ich merkte es, erschrak und versuchte mich mühsam zu beherrschen. Ich holte tief Luft und schloss die Augen. Der merkwürdige Schwindel verging, doch die Stiefel hingen

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