Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
und verstummte.
»Ich erinnere mich daran«, rief ein Mann vom Tresen. »Selten so gelacht wie damals. Ich fürchtete schon, er würde sich gleich in die Hose machen. Kein Wort brachte er heraus.«
Der Fiedler zuckte mit den Schultern. »Dann hat er sich eben inzwischen irgendein Mädchen angelacht. Das heißt noch nicht …«
»Still, Ben«, sagte Penny ruhig und bestimmt. »Die paar Barthaare sind lange nicht die einzige Veränderung an dem Jungen.« Sie musterte mich prüfend. »Mein Gott, du hast recht, Losi, sein Blick hat etwas von einem Fae.« Der Fiedler setzte erneut zu etwas an, doch Penny brachte ihn mit einem scharfen Blick zum Schweigen. »Du bist still, oder du musst raus. Ich will hier drinnen heute keinen Streit mehr.«
Der Fiedler sah sich um und merkte, dass die Stimmung sich gegen ihn gewandt hatte. Hochrot im Gesicht und mit finsterer Miene nahm er seine Fiedel und stampfte hinaus.
Losi trat wieder vor mich und strich sich die Haare aus der Stirn. »War sie wirklich so schön wie es heißt?« Sie hob selbstbewusst das Kinn. »Schöner als ich?«
Ich zögerte. »Sie war Felurian«, antwortete ich leise, »die schönste aller Frauen.« Ich streckte die Hand aus, strich Losis rote Locken sanft von Hals und Schläfe zurück, beugte mich vor und flüsterte ihr sieben Worte ins Ohr: »Aber sie hatte trotzdem nicht dein Feuer.«Und Losi liebte mich für diese sieben Worte, und ihr Stolz war wiederhergestellt.
»Wie hast du es geschafft, von ihr loszukommen?«, fragte Penny.
Ich sah mich um und fühlte, dass alle Blicke auf mich gerichtet waren. Wieder rumorte das ausgelassene Feenlachen in mir. Ich lächelte träge, und mein Mantel blähte sich hinter mir.
Dann ging ich nach vorn, setzte mich vor den Kamin und erzählte, was ich erlebt hatte.
Oder etwas Ähnliches. Meine Zuhörer hätten mir nicht geglaubt, wenn ich ihnen die ganze Wahrheit zugemutet hätte. Dass Felurian mich hatte gehen lassen, weil ich sie mit einem Lied erpresste, passte nicht zum klassischen Märchen.
Also erzählte ich etwas, das mehr ihren Erwartungen entsprach. In dieser Geschichte folgte ich Felurian in das Reich der Fae. Auf ihrer dämmrigen Lichtung umschlangen und liebten wir uns. Später, beim Ausruhen, spielte ich für sie: fröhliche Lieder, die sie zum Lachen brachten, geheimnisvolle Lieder, die ihr den Atem raubten, und süße Lieder, bei denen ihr Tränen in die Augen traten.
Doch als ich mich anschickte, das Reich der Fae zu verlassen, wollte sie mich nicht ziehen lassen. Zu sehr waren ihr meine … Künste ans Herz gewachsen.
Ich will ganz offen sprechen: Ich ließ meine Hörer deutlich wissen, dass Felurian große Stücke auf mich als Liebhaber hielt. Ich entschuldige mich nicht dafür. Es genüge zu sagen, dass ich ein Jüngling von sechzehn Jahren war, der sich nicht wenig auf seine neuerworbenen Fähigkeiten einbildete und auch gerne ein wenig angab.
Ich erzählte, wie Felurian mich in ihrem Reich einsperren wollte und wie wir mit den Mitteln der Magie gegeneinander kämpften. Dafür machte ich einige kleine Anleihen bei Taborlin. Jedenfalls blitzte und donnerte es in meiner Geschichte.
Zuletzt besiegte ich Felurian, ließ sie aber am Leben. Zum Dank wob sie mir einen Feenmantel, weihte mich in ihre geheimen Zauberkünste ein und schenkte mir zum Andenken an ihre Gunst ein silbernes Blatt. Das Blatt war natürlich frei erfunden, aber für eine richtige Geschichte mussten es drei Geschenke sein.
Insgesamt war es eine gute Geschichte. Und auch wenn nichtalles stimmte, so enthielt sie doch einen wahren Kern. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich die Wahrheit auch ganz weglassen und eine noch viel bessere Geschichte hätte erzählen können. Lügen sind einfacher und klingen oft auch einleuchtender.
Losi sah mich die ganze Zeit über an. Sie schien meinen Bericht als Herausforderung an die Fähigkeit sterblicher Frauen zu betrachten. Sobald ich fertig war, nahm sie mich in Beschlag und führte mich in ihre kleine Kammer im obersten Stock des GÜLDENEN PENNY.
Ich bekam in jener Nacht nur sehr wenig Schlaf, und Losi brachte mich näher an den Rand der Erschöpfung, als Felurian es je getan hatte. Doch war sie eine wunderbare Gespielin und stand Felurian in nichts nach.
Wie war das möglich?, höre ich euch fragen. Wie konnte eine sterbliche Frau es Felurian gleichtun?
Man versteht das leichter, wenn man es sich in musikalischen Begriffen vergegenwärtigt. Manchmal freut man sich an einer
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