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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Mädchen folgten mir durch den Spalt. Das Licht meiner Fackel fiel auf Fässer, Töpfe, Säcke und Kisten, gerade so, wie es unser Plan versprochen hatte. Der Gewölbekeller war so lang, daß wir das hintere Ende nicht sehen konnten; er enthielt einen Wintervorrat, den ein ganzer Ogerstamm nicht auf einen Sitz verzehren konnte. Es gab keinen Zweifel: Wir standen im Vorratskeller des Palastes!
    Behutsam schlichen wir an Kräuterbüscheln, Heringsfässern und Weinkrügen vorüber, bis wir die Tür am anderen Ende des Kellers erreicht hatten. Viburn untersuchte sie, während ich ihm die Fackel hielt. Ich fand den Anblick entmutigend: schwere Eichenbretter, die von zahlreichen eisernen Beschlägen zusammengehalten wurden, ein festes, aber keineswegs grob gearbeitetes Schloß, dessen Schlüssel vermutlich der Haushofmeister am Halse trug, falls ihn nicht der Graf oder die Gräfin selbst in Verwahrung hatte. Viburn pfiff durch die Zähne. »Das wird nicht leicht ...«
    Ich warf noch einmal einen Blick auf den Plan. Der Vorratskeller war der einzige Raum, der an diesem Ende des unterirdischen Ganges eingezeichnet war. Was mochte sich hinter der eisenbeschlagenen Tür befinden? Doch gewiß nicht das Verlies, in dem unsere Freunde eingekerkert waren? Natürlich nicht! Ich tippte Viburn auf die Schulter. »Laß gut sein, Alter! Wahrscheinlich würdest du auch mit diesem Schloß fertig werden und vielleicht noch in dieser Woche, doch wir sind auf deine Kunst gar nicht angewiesen ...«
    »Nein?«
    »Nein! Denk doch mal nach! Wer hat unseren Plan gezeichnet? Ein Mensch, der einen Befreiungsversuch im Verlies durchführen wollte? Wohl kaum. Viel eher ist das die Arbeit eines Diebes, der Gefallen am gräflichen Proviant gefunden hat. Wahrscheinlich geht er regelmäßig hier ein und aus, der praktische Durchschlupf durch die Bretterwand spricht dafür ...«
    »Mag sein, daß du recht hast«, warf Viburn ein. »Trotzdem müssen wir diese Tür überwinden. Wie sollen wir sonst zu den Verliesen vordringen?«
    »Ach was! Hinter der Tür befindet sich wahrscheinlich eine Kellertreppe und über uns der Palast. Einen unmittelbaren Zugang zum Verlies finden wir dort sicher nicht.« Ich tippte auf den Plan. »Nein, was wir suchen, ist hier. Hier an der Stelle, wo unser unbekannter Freund die drei Pfeile aufgemalt hat.«
    Viburn starrte mich an. »Du meinst ...?«
    »Ja! Die Wächter im Verlies fürchtet ein Dieb mehr als alle Fallen. Eine Falle kann er entschärfen, aber wenn ihn die Schergen des Grafen entdecken, dann ist es vorbei mit freiem Trank und freier Speise ...«
    »Ich wollte ohnehin wissen, was es mit diesen Pfeilen auf sich hat«, sagte Mädchen fröhlich. »Dann sollten wir hier keine Zeit mehr verlieren.« Sie zurrte ihren Umhang wieder eng um die Schulter. »Los Arve! Du hast die Fackel, geh voran!«
    Im Vorübergehen warf Viburn einen sehnsüchtigen Blick auf die Weinkrüge. »Vielleicht sollten wir auf dem Rückweg kurz ...«, murmelte er.
    Wir zwängten uns wieder durch den Spalt und schoben anschließend die Bretter an ihren alten Platz zurück. Weiter ging es, durch den Vorraum und das lange Gewölbe, bis wir vor der anderen Türe standen. Ich schaute noch einmal auf den Plan und die drei Pfeile, aber die konnten uns keinen weiteren Aufschluß geben. Und der Zeichner hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Zeichnung jenseits der unheimlichen Pfeile fortzusetzen.
    Die Tür ähnelte der, die Viburn vorhin so mühelos aufgebrochen hatte, und das faulig riechende Holz sah keineswegs fester aus. Viburn hob das rechte Bein, doch dann hielt er inne.
    »Was wird, wenn dahinter gleich das Wohnzimmer des Kerkermeisters und seiner Kumpane liegt?« wollte er wissen.
    »Kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte ich. »Dann hätten die Wachen vorhin deine Tritte gehört. Sie hätten uns längst jemanden zur Begrüßung geschickt. Los, trau dich!«
    Viburn grinste gequält. »Auf deine Verantwortung?«
    Ich nickte.
    Krach!
    Schon bei Viburns erstem, fast zaghaftem Tritt waren die Angeln aus dem morschen Holz gebrochen. Das ganze Türblatt klappte nach hinten, stieß mit dumpfem Klang gegen ein Metall. Ich leuchtete ihr.
    Im Fackellicht schimmerten die rostigen Stangen eines schweren Gitters, gegen das die fallende Türe gestoßen war, hinter den Stäben öffnete sich ein dunkler Raum. Zwischen dem Türrahmen und dem Gitter lag ein kurzer Korridor, in dessen Seitenwänden zwei mannshohe Öffnungen gähnten. Viburn, der sich immer um

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