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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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und er würde von seiner Bank aufstehen, um sie zu schlagen. Das
wiederum würde Micah erzürnen, und Papa würde ihn anstarren und ihn warnen,
auch nur ein einziges Wort zu sagen. Und dann würde sich Papa in sein tiefes
Schweigen hüllen, was schlimmer als alles andere war.
    Sadima ging zurück durch den schmalen
Flur. Ihr Schultertuch war alt und hässlich, aus schwerer, grauer Wolle
gefertigt. Sie legte es sich um den Oberkörper, folgte Micah durch die Tür und
murmelte einen Abschiedsgruß, obwohl sie wusste, dass ihr Vater nicht antworten
würde. Kaum waren sie außer Sichtweite des Hauses, band sie das Tuch wieder ab
und versteckte es im Stachelbeergebüsch neben dem Ziegenpfad, der zu den hohen
Wiesen führte.
    Micah beobachtete sie lächelnd. Sie
strahlte zurück und blieb dann stehen, um sich einen Dorn aus der Fußsohle zu
ziehen. Als sie den Blick wieder hob, starrte Micah auf die Wolken am Horizont.
Im letzten Jahr war ihm ein leichter Bartflaum gesprossen, und er war sogar noch
ansehnlicher geworden. Würde er wie Papa werden, wenn er erst älter wäre?
    Micah senkte den Blick. »Worüber denkst du
nach, Sadima?«
    »Über Papa«, antwortete sie und sprach
damit so viel der Wahrheit aus, wie sie sich traute.
    »Er schläft kaum noch«, sagte Micah.
»Beinahe jeden Morgen, wenn ich aufstehe, sitzt er schon dort und starrt ins
Feuer oder auf die Tür oder die Wand. Wenn ich ihn anspreche, antwortet er
nicht.«
    Sadima sah die Sorge in den Augen ihres
Bruders. »Ich hasse es, wenn er so ist.«
    Micah sah erschrocken aus. »Sag nicht so
etwas, Sadima. Er kann nichts dafür. Vorher war er nicht so.«
    Sadima wich seinem Blick aus. Vorher. Sie
wusste, was ihren Vater verändert hatte. Auch wenn keiner von den beiden ihr
viel davon erzählt hatte, wusste sie doch, dass ihr Geburtstag der Todestag
ihrer Mutter gewesen war. Mattie Han war die Einzige, die ihre Fragen beantwortete,
und sie war es auch, die ihr erzählt hatte, wie Micah gerannt war, bis er sich
kaum mehr auf den Beinen hatte halten können. Sie hatte von der alten Magierin
berichtet und davon, wie Micah sie in dieser ersten, schrecklichen Nacht warm
gehalten und beschützt hatte. Sadima konnte sich nicht vorstellen, dass
irgendjemand grausam genug war, ein Neugeborenes auf dem kalten Fußboden liegen
zu lassen. Die ältesten der Ziegen erinnerten sich an diese Nacht, wie sich die
Tür zur Scheune geöffnet hatte, und an den Geruch des blutigen Fruchtwassers.
Sie schauderte.
    »Ist dir kalt?«, fragte Micah.
    Sadima schüttelte den Kopf, dann lächelte
sie ihn an. »Lass uns ein Wettrennen machen«, schlug sie vor und spähte die
Straße hinunter, um eine Ziellinie zu bestimmen. »Bis zur Eiche bei Nick Kuliks
Tor.« Diese Worte stieß sie in einem Schwall aus, und schon war sie
davongestürmt.
    Der Erdboden war weich, tief und warm, und
Sadima flog davon und hüpfte über die Furchen der Karrenräder. Sie hörte Micah
in ihrem Rücken, wie er aufholte und dann langsamer wurde. Er blieb einige
Schritte hinter ihr, bis der Baum näher kam, dann
wurde er plötzlich schnel ler,
tat so, als müsste er um Atem ringen und sich anstrengen, und verlor
schließlich um Haaresbreite. Lachend liefen sie aus und blieben stehen. Als das
Gelächter wieder verstummt war, starrte Sadima ihn an. Ihren Bruder. Sie liebte
ihn mehr, als sie jemals sonst jemanden ins Herz schließen würde. Er war ihr
bester Freund – ihr einziger Freund. Papa gestattete nicht einmal, dass sie
Matties Töchter besuchte.
    Sadima lief näher neben Micah, als sie an
den Höfen und an den aufgeschichteten Steinkreisen vorüberkamen, die schon
immer auf diesem Landstück standen. Sie hatte ihren Bruder nach der dazugehörigen
Geschichte gefragt, und langsam und bedächtig, wie er es immer tat, hatte er sie ihr erzählt. Doch es war nur wenig, was er zu
berich ten wusste. Die Menschen, die
innerhalb dieser uralten run den Steinmauern gelebt hatten, hatten mit
den Bäumen und den Flüssen gesprochen. Sie hatten keinerlei Fußspuren hinterlassen, wenn sie umherliefen oder rannten.
Sie hat ten so hoch wie Vögel fliegen können, und sie waren schon seit so
langer Zeit verschwunden, dass der Regen die Steine abgerundet hatte, die sie
aus dem Boden gegraben und zu Quadern
behauen hatten, um ihre Mauern errich ten zu können.
    »Glaubst du, dass es
wahr ist?«, fragte sie, als er geen det hatte. »Wie sollte irgendjemand fliegen können?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß das
schon?

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