Die Gabe der Magie
die Reihenfolge durcheinanderzu bringen. Ich wollte nicht mit ihm in einem Zimmer en den, falls es
das war, was das Paarbilden zu bedeuten hatte. Ich tat mein Bestes, doch es war unmöglich. Der Zaube rer lief
einfach zu schnell. Wir alle hasteten hinter ihm her, und jeder war damit
beschäftigt, sich nicht abhängen zu lassen.
Ich fürchtete mich, als ich hörte, wie der
Junge vor sich hin flüsterte. War er in gleichem Maße verrückt, wie er stank?
Wenn er ein Dienstbote war, würde er doch sicherlich das Zimmer mit seinem
Herrn teilen, nicht mit mir. Ich hielt mich an einer Seite des Ganges, um mich
von ihm zu entfernen. Sein Gesicht konnte ich nicht deutlich erkennen. Ich
konnte überhaupt nichts deutlich erkennen. Die Fackeln hingen in immer größerem
Abstand, je länger wir liefen.
Der Zauberer bog um eine scharfe Kurve,
und der Fischjunge schob sich wieder an meine Seite, um die Reihe
aufrechtzuerhalten. »Links«, hörte ich ihn nun gut verständlich flüstern, dann
schwächer: »Rechts, links, rechts …« Und
dann verlor ich den Faden, aber ich beg riff sofort, was er tat. Das war
es also. Er war nicht verrückt, er war schlau. Aber ich wollte trotzdem nicht
mit ihm zusammenwohnen.
Ich lief nun schneller und versuchte, mich
wieder zur Vernunft zu bringen. Diese
anfängliche Aufstellungsrei he konnte nicht bedeuten, dass man seinen
Zimmergenossen ausgesucht hatte. Wir würden ganz einfach nur in einem Speisesaal enden, wo ein hübsch dampfendes Abendes sen
auf uns wartete, und jemand würde uns dort erklären, wie wir unsere Gefährten
zum Zusammenleben auswählen würden. Wenn ich könnte, würde ich Levin nehmen.
Der Zauberer blieb so abrupt stehen, dass
wir alle ineinanderrannten. »Ihr zwei«, hörte ich ihn zum ersten Paar in der
Reihe sagen. »Hier.«
Dann eilte er weiter, und wir alle
bemühten uns, an den beiden Jungen vorbeizugelangen, die unsicher in der
Mündung eines schmalen Ganges standen. Sekunden später bogen wir in einen
weiteren Tunnel, dann gingen wir erneut um die Ecke. Fischjunge flüsterte sich
die Abzweigungen zu, während wir durch die Dunkelheit hasteten, aber ich war
mir sicher, dass er bereits durcheinandergekommen war. Niemand konnte sich so
viele Biegungen merken.
»Ihr zwei hier«, sagte der Zauberer beim
nächsten Halt. Dieses Mal waren alle wachsam gewesen, und niemand trat dem
anderen in die Hacken. Und dann setzte der Zauberer seinen Weg wieder fort, nun
beinahe im Laufschritt. Ich entdeckte Türen, an denen wir nicht stehen blieben,
und ich spürte ein tiefes Unbehagen in meinen Eingeweiden, als er um immer
weitere Ecken bog. Waren dies unsere Zimmer? Wer lebte in jenen, die wir passierten?
Die nächsten beiden Jungen wurden vor
einer Tür zurückgelassen, ohne dass der Zauberer überhaupt stehen blieb. Er
wies nur darauf und lief weiter. Wie war es möglich, dass er so schnell gehen
konnte? Wir alle rannten, um ihn nicht zu verlieren. Als Nächstes traten Levin
und sein Partner aus der Reihe, und nun waren nur noch ich und Fischjunge
hinter dem Zauberer, und wir mühten uns ab, um mit ihm Schritt zu halten. Er
setzte seinen Weg so lange fort, dass ich nicht darauf vorbereitet war, als er
schließlich doch noch stehen blieb. Ich prallte gegen seine Schulter, und er
schüttelte mich ab, dann zeigte er auf die
Tür. Ohne sich noch einmal umzusehen, stürm te er davon und verschwand
hinter der nächsten Fackel in der Dunkelheit.
11
DAS BLUTIGE FRUCHTWASSER WAR SCHON LANGE IM GRAS VERSICKERT, UND SADIMA BEKAM
ES LANGSAM MIT der Angst zu tun. Die Ziege hob ihren
Kopf, streckte sich dann jedoch keuchend wieder aus. Solange Sadima sich
erinnern konnte, hatte Rebecca jedes Jahr mühelos geboren. Aber dieses Mal war
sie schwerer und aufgeblähter als je zuvor gewesen, und sie war nicht mehr
jung. Seit Stunden lag sie schon in den Wehen, und sie wurde langsam schwach.
Sadima streichelte der Ziege mit beiden
Händen Kopf und Hals, und sie spürte die Erschöpfung und den Durst durch die
Haut. Doch darunter lag noch etwas anderes, etwas Kaltes. War es Furcht? »Ich
gehe Wasser holen, Rebecca«, sagte sie zur Ziege, dann glitt sie zurück auf die
Fersen, erhob sich und griff nach dem kleinen Blecheimer, den sie heute Morgen
bei sich hatte, um Brombeeren zu sammeln. Er lag neben einigen Bahnen von
Flachsstoff, die sie mitgenommen hatte für den Fall, dass sie eine Schlinge
brauchte, um Rebeccas Neugeborenes nach Hause zu tragen. Ihre eigene Tasche mit
Farben und Papier
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