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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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hatte die Hufe schleifen lassen. Er hatte krank
ausgesehen, und ich erinnerte mich daran, dass ich traurig gewesen war und
Mitleid mit ihm gehabt hatte.
     
    UNTER DEM GEWICHT DIESER ERINNERUNG BEGANN
ICH ZU SCHWANKEN. MIR WAR SO FLAU IM KOPF, DASS jeder
Gedanke zu lebendig erschien, zu
bedeutungsvoll. Ich konnte die Äpfel rie chen, den blauen Himmel erahnen und das Fohlen traben se hen.
Grasstoppeln piekten durch meine Hosen, aber ich blieb vollkommen reglos
sitzen. Ich musste jenen Augenblick der Magie erleben, in dem die Pferde
fliegen lernten.
    Als ich Schritte und einen enttäuschten
Laut hörte, öffnete ich meine Augen. Nun war Gerrard an der Reihe. Breitbeinig
stand er vor mir und ließ sich mehr Zeit als alle anderen, ehe er an den Stein
herantrat und ihn berührte. Aber auch bei ihm geschah nichts. Er ließ die
Schultern hängen, drehte sich um und ging zurück zum Ende der Reihe, ohne die
anderen eines Blickes zu würdigen.
    Dann war ich dran.
    »Los, Hahp«, hörte ich jemanden hinter mir
flüstern. Levin? Ich war mir nicht sicher. Aber wer auch immer es gewesen war,
die anderen baten mich nicht einfach nur, mich zu beeilen: Sie flehten mich an,
erfolgreich zu sein. Ich dachte an das, was Franklin zu mir gesagt hatte, und
ich spürte, wie ich wieder zu schwitzen anfing. Wenn es mir gelänge, Nahrung
entstehen zu lassen, würde es Kämpfe geben. Wenn nicht, könnte es trotzdem zu
Streit kommen. Wenn die anderen Jungen ihre Hoffnungen zu hoch hängten, würden
sie vielleicht mich dafür verantwortlich machen, wenn ich versagte.
    Ich bewegte mich einen Schritt nach vorne,
schloss die Augen und versuchte, an die Pfannkuchen zu denken. Dann, ohne es zu
wollen, sah ich mit einem Mal die Apfelkisten in der Dunkelheit hinter meinen
Augenlidern sehr klar und deutlich vor mir.
    Äpfel.
    Vollkommen.
    Es war früh an einem kühlen Morgen
gewesen, und über meinem Kopf waren Krähen gekreist. Ich konnte die Tautropfen
auf den dünnen, goldenen und roten Apfelhäuten sehen, bemerkte den perfekt gebogenen
Stängel, und ich erinnerte mich daran, wie ich mit dem Daumen über die
runzeligen Stellen in der Kuhle am Boden der Frucht strich, wo sich die Überreste
der Blüte befanden. Ich sah die Äpfel, ich roch sie, ich konnte sie schmecken,
und ich erinnerte mich ganz deutlich an den Klang, wenn ich in sie hineinbiss.
Ich hatte befürchtet, der Zauberer könnte es hören.
    All diese Gedanken zwang ich in meinen Geist
und hielt sie dort fest. Dann trat ich mit geschlossenen Augen an den Stein
heran. Die eisige Kälte des Edelsteins versetzte mir einen Schrecken, als ich
meine ausgestreckten Handflächen flach dagegenpresste. Ich sah das Flackern
durch meine Lider, dann öffnete ich sie, und mein ganzer Körper zitterte.
    Eine Kiste Äpfel stand auf dem Podest.
    Lange Zeit herrschte
vollkommene Stille, dann stürm te
die gesamte Reihe Jungen voran, johlte und lachte. Es waren genug Apfel, dass
jeder von uns ein Dutzend oder mehr haben konnte, und ich benutzte die
Vorderseite meines Umhangs, um meinen Teil mitzunehmen. Dann drehte ich mich um
und konnte Gerrard sehen, der sich zurückhielt und dessen Hände leer waren. Ich
öffnete meinen Mund, um etwas zu ihm zu sagen. Ich wollte ihn unmissverständlich
wissen lassen, dass auch er Apfel haben sollte. Doch dann sah ich Somiss in dem
breiten Durchgang zum Raum stehen.
    Das Lachen verstummte.
    »Ihr Narren!«, fauchte Somiss. »Glaubt
ihr, er will euch helfen? Oder will er euch schwach halten?«
    Dann sah er mich direkt an.
    Und dann war er nicht mehr da.

29
     
    IST MIT DIR ALLES IN ORDNUNG?«, FRAGTE FRANKLIN SADIMA, ALS SIE IN DER MORGENDÄMMERUNG GEMEIN SAM die Treppe hinabstiegen
und beide einen leeren Wassereimer trugen. »Ich war noch nie so hungrig«, fuhr
er fort. »Gibt es wieder nur eine halbe Kartoffel für den ganzen Tag?«
    Sein Magen knurrte bei diesen Worten, und
Sadima lächelte ihn an. »Bauernkinder lernen, im Winter von Schnee und Rüben zu
leben.«
    Am Kopf der Treppe
war er stehen geblieben und hat te
ihr den Vortritt gelassen. »Am meisten Sorgen mache ich mir wegen Somiss. Und
du arbeitest so hart, von früh bis spät.«
    Sadima antwortete
nicht. Sie stand vor dem Morgengrauen auf, um eine oder zwei Stunden lang abzuschreiben,
ehe sie das Frühstück vorbereitete, dann räumte sie auf und rannte den ganzen
Weg bis zu ihrer Arbeitsstelle. An ihren Abenden hatte sie ebenso viel zu tun.
»Ich werde in einigen Tagen meinen Lohn bekommen«, sagte sie. »Und

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