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Die Gabe der Magie

Die Gabe der Magie

Titel: Die Gabe der Magie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Duey
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Wasserfass, um sich selbst zu betrachten. Ihre
Wangen waren weniger rund, als sie sie in Erinnerung hatte, und ihr Hals schien
länger. War sie hübsch? Micah und Mattie Han hatten das immer behauptet, aber
stimmte das auch? Hübsch genug, dass Franklin häufiger an sie als an Somiss dachte?
    Als sie Schritte auf dem Flur hörte, blies
sie rasch die Kerze aus und kroch in ihr Bettlager auf dem Fußboden. Sie gab
vor, tief und fest zu schlafen, als Somiss eintrat, in der Hand seine eigene
Kerze. Aber sie öffnete ein Auge und beobachtete ihn durch die Wimpern
hindurch. Er war vollständig bekleidet. Sie konnte ihn vor sich hinflüstern
hören. Er klang aufgeregt, aber sie verstand seine Worte nicht.
    Er tauchte einen Becher in das Fass und
trank einen Schluck, dann ging er zurück in sein Schlafzimmer. Sadima hörte ihn
die Tür schließen. Sie wartete und lauschte, aber die einzigen Geräusche kamen
von unten von der Straße. In der Ferne rief jemand, und sie konnte Grillen
hören. Arbeitete Somiss um diese Zeit noch? Jeden Morgen reichte er ihr ein
Dutzend oder mehr Seiten zum Abschreiben. In letzter Zeit kam hinzu, dass er
kaum noch aß und fast überhaupt nicht mehr schlief. Sie wusste, dass es
Franklin interessieren würde, wenn Somiss so lange noch auf war, aber sie
beschloss, es ihm nicht zu sagen.

28
     
    KAUM HATTEN ALLE BEGRIFFEN, DASS FRANKLIN
FORT WAR, KAM LUKE ZU MIR UND DRÄNGTE MICH VOM Stein
weg. Beinahe wäre ich gestürzt, und ich ließ das Pferd fallen, als ich mit den
Armen ruderte, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Es schlug auf dem Boden auf und rutschte über das schlüpfrige Gestein.
Und dann geschah mit ihm das Gleiche wie mit den Nahrungsmitteln, die Franklin
benutzt hatte, um uns zu quälen oder anzuspornen, oder was immer sonst ihr Sinn
und Zweck gewesen war. Das blaue Pferd sprühte Funken wie Eisen, das über
Feuerstein gerieben wird, und verschwand. Ich spürte, wie mir erneut die Tränen
in die Augen stiegen. Dieses Spielzeugpferd hatte zu meinen schönsten Erinnerungen
gehört.
    Und nun war es nicht mehr da.
    Ich hörte ein Geräusch, und als ich mich
umblickte, sah ich, wie Luke einen anderen Jungen aus dem Weg stieß, der einen
Schritt nach vorne gewagt hatte. Es war Jordan, einer von Levins Zimmergenossen
– der große, dürre mit dem geraden, braunen Haar und den dunklen Augen, die
sich von seiner hellen Haut abhoben.
    »Ich bin zuerst dran«, sagte Luke.
»Verschwinde.«
    »Du musst immer überall der Erste sein«,
beschwerte sich Jordan. »Beim Waschen, beim
Pissen, einfach über all. Dieses Mal will ich anfangen. Ich …«
    Mit ausgestrecktem Arm schob ihn Luke weg;
seine flache Hand hatte er auf Jordans Brust gelegt. Jordan machte einen
unsicheren Schritt zurück, dann sprang er zur Seite. Lukes eigenes Gewicht riss
ihn nach vorne, und so stolperte er und fiel auf die Knie.
    »Bildet eine Reihe«, rief Levin. »Jeder,
der kämpfen will, muss das irgendwo anders tun und uns Übrige in Ruhe lassen,
damit wir versuchen können, Essen zu erschaffen.«
    Ein allgemeines zustimmendes Gemurmel
schwoll an, und eine Reihe bildete sich. Zwar gab es auch dabei Gedränge, aber
keine Fausthiebe mehr. Gerrard war der Letzte. Ich stellte mich hinter ihn,
noch immer zornig wegen Luke, der mich dazu
gebracht hatte, das Pferd fal len zu lassen. Ich verabscheute jede Sekunde,
die ich reglos vor diesem Stein stehen musste, während Luke probierte, vor
seinem geistigen Auge etwas entstehen zu lassen, womit er gespielt hatte, als
er klein war. Dann endlich hob er die Arme und legte seine Hände auf den Stein,
doch nichts geschah. Überhaupt nichts. »Fast hätte ich es gehabt«, stöhnte er
und wedelte mit einem Arm. »Lass mich nur noch mal …«
    »Ich bin dran«, fauchte Jordan hinter ihm.
    Lukes Hände ballten sich zu Fäusten.
Jordan war nicht so groß wie er, aber er war kampfbereit. Das konnte man an der
Art und Weise sehen, wie er dort stand, das Kinn vorgereckt, das Gewicht auf
die Fußballen verlagert. Auch wenn er schwach sein mochte, so hatte er doch
keine Angst voreiner körperlichen Auseinandersetzung. »Geh zurück
ans Ende der Schlange«, sagte er mit angespannter, leiser Stimme. »Und wenn ich
es ebenfalls nicht schaffe, dann werde ich wieder direkt hinter dir stehen.
Dann Tally, dann Joseph, dann alle anderen.«
    Ich schaute den Jungen hinter Jordan an.
Tally. Ich hatte also recht gehabt. Aber aus der Nähe ähnelte er Aben doch
nicht allzu sehr. Sein Gesicht war dünner und

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