Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
wie eine Fahne wehen.
Sie lief die Stufen hinunter.
Und dann sah auch sie die fluoreszierende Lichtgestalt am See.
"Was geht da vor sich?" fragte sie.
"Ich dachte, Sie könnten mir das erklären, Helen", erwiderte Tom.
Sie gingen auf den See zu. Tom nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich. Vom Portal aus hörten sie den heiseren Ruf Sir Wilfried Barnstables.
"Helen! Nein!"
Sie achtete nicht darauf.
Die Stimme Sir Wilfrieds vermischte sich mit dem Heulen des Sturms. An einem der nahen, knorrigen Bäume knackte ein Ast ab und krachte zu Boden.
Die von gleißendem Licht umgebene Gestalt wurde jetzt besser sichtbar.
Tom erkannte das Gesicht. Es war ihm nur zu sehr vertraut.
"Patti!" rief er.
Ein zischendes Geräusch war zu hören. Die Gestalt wandte sich wie unter Schmerzen. Die Augen waren geschlossen. Tom wollte auf sie zugehen, aber Helen hielt ihn zurück.
"Es hat keinen Sinn!" sagte sie.
"Was geschieht hier?"
"Sie tötet Ihre Kollegin... Und es gibt nichts, was sie daran hindern könnte!"
Die lichtumhüllte Gestalt sank zu Boden und hob dabei die Arme, so als wollte sie sich vor einem unsichtbaren Gegner schützen.
"Nein!" schrie Helen. "Der Fluch muß ein Ende haben! Töte mich, Jarmila!"
Sie machte einen Schritt vorwärts.
Und ehe sie Tom zurückhalten konnte, berührte Helen Patti bei der Schulter. Die Lichtaura hüllte sich nun auch um Helen. Das zischende Geräusch wurde lauter, durchdringender. Die Blitze am Himmel verebbten, das Donnergrollen verstummte. Im nächsten Augenblick verschwand Helens Körper vor Toms Augen. Er verblaßte einfach, wurde eins mit der Dunkelheit der Nacht und löste sich innerhalb eines Herzschlags völlig auf. Nichts blieb mehr von ihm.
*
Ich spürte wie kräftige Arme mich emporhoben und öffnete die Augen. Dunkelheit umgab mich.
Aber nicht mehr die Dunkelheit des Todes, jene abgrundtiefe Finsternis, in der die ewige Kälte regiert. Es war Nacht.
Mit Erstaunen registrierte ich diesen Wechsel der Tageszeit.
Und dann wurde mir klar, was das bedeutete. Ich war zurück.
Zurück aus der eigenartigen Zwischenwelt, in der Jarmila regierte.
"Patti!" flüsterte eine Stimme. Es war Tom. Er hielt mich in den Armen.
"Ich habe Helen gesehen!" flüsterte ich. "Sie tauchte plötzlich in jener Zwischenwelt auf, in der Jarmila mit mir kämpfte..."
"Sie muß noch dort sein!" stellte Tom fest. Ich war mir nicht sicher. Aber vielleicht hatte Helens Auftauchen mich gerettet.
Ich sah zu Tom auf, schmiegte mich an ihn. "Halt mich fest!" flüsterte ich.
Der Sturm ließ indessen nach. Der Wind war jetzt kaum mehr als eine sanfte Brise, die über die Hügel strich. Schritte wurden hörbar.
Ein Mann kam von einem der Hügelkämme herab. Ich erkannte ihn sofort. Es war Jim.
Vorsichtig und etwas ungläubig näherte er sich.
"Jim!" rief ich.
"Mein Gott, ihr könnt mich hören?" Er atmete tief durch.
"Es war furchtbar. Ich war für jeden unsichtbar... Nur für diese geheimnisvolle Frau nicht..."
"Jarmila", sagte ich.
"Ja, das war ihr Name", sagte er.
"Wo ist sie?" fragte Tom.
Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht dort, wo sie schon lange hätte sein müssen. Im Reich der Schatten... Auch sie war eine Gefangene. Eine Gefangene ihres Hasses, der sie in dieser Zwischenwelt festhielt."
Jetzt näherten sich Lord und Lady Barnstable.
"Wo ist Helen?" fragte Sir Wilfried. "Wo ist sie!"
"Wir wissen es nicht", erklärte Tom. "Aber was immer auch mit ihr geschehen sein mag, sie wollte es so..."
*
Vieles von dem, was sich in jener Nacht auf Barnstable Manor abgespielt hatte, würde vermutlich immer im Nebel des Unerklärlichen bleiben, auch wenn Tante Lizzy in ihrer reichhaltigen okkultistische Literatur nach Hinweisen suchte, die die Geschehnisse zumindest etwas erhellen konnten. Die Erklärung für Jims Befreiung war ihrer Ansicht nach darin zu finden, daß das Zwischenreich, deren einzige Bewohnerin Jarmila selbst gewesen war, nicht mehr existierte.
Jarmila schien nun endlich Ruhe gefunden zu haben. Jim war in der folgenden Zeit ziemlich schweigsam. Sowohl gegenüber der Polizei, als auch gegenüber Mr. Swann hielt er sich sehr bedeckt und berichtete nur das Nötigste. Obwohl Jim und ich auch in der Vergangenheit bereits des öfteren Zeuge übersinnlicher Geschehnisse gewesen waren, hatte er diesen Dingen immer sehr skeptisch gegenübergestanden. Es gefiel ihm nicht, daß es Dinge gab, die mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft nicht zu erklären waren.
Noch nicht.
Und
Weitere Kostenlose Bücher