Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
eigenartiges, gedämpftes Licht. Dutzende von bizarren Schattengebilden tanzten an den Felswänden und den glatten Tropfsteinsäulen. Eine feuchte Kühle herrschte hier. Eine Kälte, die durch Mark und Bein ging und mit nichts zu vergleichen war, was der Jäger zuvor draußen in der Wildnis erlebt hatte. Nicht einmal in eisigsten, sternklaren Nächten unter freiem Himmel. Die Kälte des Todes!
Maguan runzelte die Stirn.
Um den großen Felsblock herum, aus dem das seltsame Feuer herauszulodern schien, waren Berge von...
Knochen!
Schädel, Gerippe, Schenkelknochen in den verschiedensten Größen. Manche halb zu Staub verfallen, andere wie frisch abgenagt.
Die Gebeine von Hunderten von Tigern waren in dieser Höhle aufgehäuft. Im grünlich schimmernden Schein des kalten Feuers wirkten die augenlosen Schädel geisterhaft. Ihre leeren Blicke und das Grinsen ihrer zahnbewehrten Knochenmäuler ließen Maguan erschauern.
Der Jäger trat näher.
Er registrierte den feinen weißen Staub unter seinen Fellstiefeln.
Dieser Staub...
Zerfallene Gebeine...
Hin und wieder kam noch ein kleines Stück dessen zum Vorschein, was diese Abermillionen von Staubkörnchen einst geformt hatten. Ein Stück eines Tigerzahns oder einer der vielen kleinen Knochen, die den mächtigen Pranken dieser majestätischen Raubkatze ihre Stabilität gaben.
Ein schabendes Geräusch ließ Maguan erstarren.
Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
In den gewaltigen Knochenbergen um den zentralen Felsblock mit der Flamme herum bewegte sich etwas...
Ein Tigerschädel glitt empor, schob Dutzende von anderen Knochenteilen zur Seite und setzte sich dann an die Spitze eines noch recht vollständigen Torsos, der aus Rippen, Schultern und Rückgrat bestand. Wie durch eine unsichtbare, magische Hand bewegt, fügten sich andere Teile aus diesem Gebeinhaufen zusammen. Beine, Pranken...
Das Maul des Knochen-Tigers, der jetzt oben auf den Gebeinen seiner Artgenossen thronte, öffnete sich und ein markerschütterndes Brüllen ließ den Boden zu Maguans Füßen erzittern.
Im selben Moment ging eine Wandlung mit dem Knochen-Tiger vor sich.
Innerhalb eines einzigen Augenblicks bekam er Fleisch, ein Fell und ein paar Augen, die wie glühende Kohlen wirkten. Zunächst wirkte dies alles seltsam durchscheinend, aber innerhalb kürzester Zeit gewann es Substanz, so daß
schließlich ein Tiger auf dem Knochenhaufen thronte, der so lebendig wirkte wie jedes andere Exemplar dieser Katzenart, dem Maguan bereits begegnet war.
Unwillkürlich wich Maguan zurück.
Er taumelte fast.
Der Tiger riß das Maul auf.
"Bleib!" rief eine Stimme. Sie schien aus Maguans Kopf zu kommen. Der Jäger war verwirrt, denn es stand für ihn fest, daß die ihm gegenüberstehende Raubkatze dafür verantwortlich war.
"Bleib!" sagte die Gedankenstimme erneut. Maguan atmete tief durch.
"Uksaki!" stieß er dann mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen hervor.
*
Wir warteten schon eine halbe Stunde vor der verwinkelten Villa des kürzlich unter mysteriösen Umständen verstorbenen Sir Malcolm Thornhill. Eigentlich hatten wir einen Termin mit der Witwe des Verstorbenen, aber leider ging niemand an die Tür.
Es war ein kalter, regennasser Tag. So grau und farblos, wie man ihn in London erwarten kann. Ich rieb mir die Hände und hatte mich gegen Tom gelehnt, der seinen Arm um meine Schulter gelegt hatte.
Tom Hamilton lächelte mich an.
Der Blick seiner grüngrauen Augen ging mir durch und durch. Er gab mir einen Kuß. Zärtlich berührten sich unsere Lippen, und ein prickelndes Gefühl durchflutete meinen gesamten Körper.
"Na, ist dir jetzt etwas wärmer?" fragte er.
"Besser als jede Standheizung!" erwiderte ich und zog ihn noch einmal zu mir, um meine Lippen auf die seinen zu pressen.
Tom strich mir zärtlich über das Gesicht und befreite es von einigen vorwitzigen Strähnen, die sich aus meiner Frisur herausgestohlen hatten. Dann blickte er kurz auf die Uhr an seinem Handgelenk und meinte: "Glaubst du, es lohnt sich noch, auf Mrs. Thornhill zu warten..."
"Meinst du nicht, wir sollten ihr noch ein bißchen Zeit geben?"
"Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte sie uns versetzt, Patricia!"
"Also, ich halte die Warterei noch ein bißchen länger aus..." Und während ich das sagte, nestelte ich am Kragen seiner Jacke herum und strich ihm zärtlich über das Kinn. Schließlich setzte ich noch hinzu: "Außerdem gibt es doch weitaus ungemütlichere Orte, an
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