Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
bewegten sich ihre Lippen nicht.
"Er ist hier!" sagte sie. Sie deutete mit der Hand über die von Nebelschwaden überlagerten Hügel der Umgebung. "Hier irgendwo irrt er umher, beinahe wie von Sinnen. Aber er wird erkennen, daß es keine Flucht gibt aus diesem Reich zwischen Leben und Tod..."
"Warum ist er hier?" fragte ich. "Und warum ich?" Sie näherte sich.
"Der Mann, den du Jim nennst, ist hier, weil ich es so wollte. Ich war so allein... Und ich kann diesen Ort zwischen den Dimensionen und Zeiten immer nur für kurze Zeit verlassen... Ich halte es nicht mehr aus, allein zu sein!"
"Jim ist nicht der erste, den du in dein Zwischenreich geholt hast, nicht wahr?" stellte ich fest. "Immer wieder verschwanden in dieser Gegend Menschen..." Jarmila schluckte.
"Nach einer Weile entschwinden sie..."
"Wohin?"
Sie zuckte die Achseln. "Ins Reich des Todes und der Schatten. Ich weiß nicht, woran das liegt. Es geschieht einfach."
"Du tötest sie!"
"Nein!"
Sie schrie es mir entgegen.
Ihre Nasenflügel bebten vor Erregung.
Ein Blitz zuckte durch die grauen Nebel und ein gewaltiger Donnerschlag folgte.
"Es ist die Wahrheit!" sagte ich. Ich deutete auf den grauen See. "Was ist es, was dich hier hält?" fragte ich.
"Warum löst du dich nicht auf und gehst ins Reich der Schatten ein? Was hält dich hier? Dein Haß auf Helen?"
"Ich bin eine Gefangene", sagte sie. "Ich weiß nicht, warum. Aber ich sehne mich danach, daß dies alles endlich ein Ende hat... Doch es scheint so, als wäre ich dazu verdammt, für immer zwischen Leben und Tod hin und her zu pendeln." Ihre Augen funkelten. Ihr Gesicht wirkte so voller Haß, daß
man nur schaudern konnte. Ihre Hände ballten sich Fäusten.
"Du willst mir Jim wegnehmen. Schon als du zum ersten Mal in diese Gegend kamst, spürte ich, daß du etwas besonders bist... Du besitzt eine sehr seltene Kraft... Eine Gabe, die der meinen verwandt ist - nur viel schwächer ausgeprägt! Sie hat dir vielleicht geholfen, bei deinem ersten Besuch in diesem Reich, wieder zurückzukehren..."
"Du wolltest mich vernichten, als ich dich an der Kirche sah!" erkannte ich.
"Soll ich vielleicht zulassen, daß du mir Jim wegnimmst?
Nein! Ich werde dich ins Reich der Schatten treiben!" Sie streckte die Hände aus, hob sie gegen den Himmel. Blitze zuckten aus dem Nebel heraus, zerteilten sich bis jeweils ein greller Strahl in eine ihrer Fingerkuppen hineinfuhr. Ein zischendes Geräusch ertönte. Und im nächsten Moment ließ ein mörderischer Donnerschlag die Erde erzittern. Ein fluoreszierendes Leuchten umgab Jarmilas Gestalt. Und dann schossen blitzartige Strahlen aus ihren dunklen Augen heraus. Direkt auf mich zu. Eine Welle aus gleißendem Licht überflutete mich. Ich spürte Jarmilas ungeheure mentale Kraft, fühlte wie die zischenden Strahlen sich in meinen Körper bohrten...
Alles in mir bäumte sich gegen diesen fremden Einfluß auf. Jede Reserve an Kraft versuchte ich zu mobilisieren... Aber es schien sinnlos zu sein.
Alles drehte sich vor meinen Augen. Ich spürte, daß ich am Rande der Bewußtlosigkeit stand. Zuerst umgab mich das gleißende Licht, das heller zu sein schien als tausend Sonnen.
Und dann war da plötzlich nur noch Dunkelheit. Und Kälte.
Die Finsternis des Todes! Das war mein letzter Gedanke.
*
Tom lief hinaus, sah in die dunkle Nacht, in der noch immer der Sturm wütete und stieg dann die Stufen des Portals hinab. Der Wind war so stark, daß man sich gegen ihn stemmen mußte, um nicht einfach umgeworfen zu werden. Wütend riß er an den Kleidern und wirbelte sein Haar durcheinander. Im letzten Moment sprang er zur Seite, als eine weitere Dachpfanne als tückisches Geschoß hernieder kam. Sie zerschellte auf dem Handlauf der steinernen Treppe. Die Bruchstücke flogen in alle Richtungen auseinander.
Donner grollte, Blitze zuckten über den düsteren Himmel. Eine grelle Lichterscheinung am Ufer des grauen Sees ließ
Tom die Augenbrauen zu einer Schlangenlinie zusammenziehen. Ganz kurz nur war eine Gestalt sichtbar gewesen. Die Gestalt einer Frau...
Tom lief auf den See zu. Der Wind stellte sich ihm wie eine unsichtbare Kraft entgegen, so als wollte er ihn daran hindern, weiter in Richtung See zu gehen.
"Warten Sie!" rief eine Stimme an der Tür des Landhauses, die sich mit einem Knarren geöffnet hatte und nun wieder schwer von der unwiderstehlichen Kraft des Windes ins Schloß
geworfen wurde.
"Helen!" rief Tom.
Der Sturm riß an ihren Kleidern und ließ ihr Haar
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