Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
Briefwechsel gepflegt", sagte ich dann. "Ich weiß nicht, ob Sie davon wissen, aber..."
"Oh, davon weiß ich sehr wohl", erwiderte Mrs. Thornhill.
"Malcolm war stark an allem interessiert, was mit Okkultismus und außersinnlicher Wahrnehmung zu tun hatte. Eigentlich war er ja Ethnologe, aber das Interesse am Okkultismus überlagerte schließlich sogar sein Interesse an fremden Völkern und Kulturen. Er schrieb sich mit Ihrer Tante, weil er sie als eine der wichtigsten Autoritäten auf diesem Gebiet ansah... Und Sie scheinen ebenfalls ein gewisses Interesse am Ungewöhnlichen zu hegen, Miss Vanhelsing!"
"Ich schreibe hin und wieder darüber, Mrs. Thornhill. Und meine Großtante - Tante Lizzy, wie ich sie nenne - unterstützt mich oft bei Recherchen."
"Oh, dann sehen Sie sie öfter!"
"Ich wohne bei ihr."
"Wir sind uns anläßlich eines Wohltätigkeitsdiners begegnet, zu dem der Prince of Wales verdiente
Persönlichkeiten geladen hatte... Von ihrem Mann gibt es noch immer keinerlei Nachricht, nicht wahr?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Frederik Vanhelsing ist verschollen. Er gilt offiziell als tot."
Sie sah mich nachdenklich an. Das Eis - das vor ein paar Augenblicken aus irgendwelchen Gründen zwischen uns gestanden zu haben schien - war jetzt offenbar gebrochen.
"Kommen Sie, ich werde versuchen, Ihnen eine Tasse Tee zu machen, die genießbar ist. Mein Hausmädchen hat leider heute seinen freien Tag..."
Dann faßte sie mich plötzlich am Unterarm.
Sie schluckte.
Es schien ihr schwer zu fallen weiterzusprechen. Verzweifelt suchte sie nach den richtigen Worten.
"Miss Vanhelsing", brachte sie dann heraus. "Ich hoffe, daß
Sie mein Vertrauen nicht mißbrauchen und das Andenken meines Mannes in den Schmutz ziehen..."
"Nein, natürlich nicht."
"Ganz gleich, was jetzt auch über ihn geredet werden mag er war ein guter Mensch. Und ich war glücklich mit ihm. Viele, lange Jahre..."
*
Mrs. Thornhill führte uns in ihre Villa, die mich etwas an das ebenfalls sehr verwinkelte Anwesen meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing erinnerte. Die Einrichtung wirkte sehr gediegen und konservativ. Der Boden war mit kostbarem Parkett ausgelegt, das Mobiliar entsprach dem Stil der
Jahrhundertwende und bestand aus erlesenen Antiquitäten. Lange Reihen von kostbaren, in Goldleinen gefaßten Büchern verbreiteten eine Atmosphäre von gemütlicher Kultiviertheit und Bildung.
Malcolm Thornhill hatte eine Karriere als anerkannter Wissenschaftler und Lehrstuhlinhaber im Bereich der Ethnologie vorzuweisen, ehe er sich nach seiner Emeritierung dem Okkultismus und den Grenzwissenschaften mit derselben, an Besessenheit grenzenden Energie zugewandt hatte.
"Bitte nehmen Sie doch Platz", sagte Mrs. Thornhill freundlich.
Sie deutete auf eine zierlich wirkende Sitzecke, die aus einem Diwan, mehreren Sesseln und einem runden Tisch gebildet wurde. Die Tischplatte war aus Marmor. Eine eigenartige Zeichnung war dunkel eingraviert.
Ich setzte mich in einen der Sessel, schaute diese Zeichnung einige Augenblicke an und hatte das Gefühl, daß sie Irgend etwas in mir auslöste.
Ein Gefühl oder...
Eine Ahnung.
Ich verfügte über eine leichte übersinnliche Begabung, die sich in seherischen Träumen, Visionen oder Ahnungen manifestierte. Tante Lizzy hatte die Fähigkeit, die ich vermutlich von meiner Mutter geerbt hatte, immer als meine Gabe bezeichnet, obwohl ich sie oft genug eher als Fluch empfunden hatte. Nur ganz allmählich hatte ich sie zu akzeptieren gelernt. Aber es lag noch ein weiter Weg vor mir, was den bewußten Umgang mit dieser unheimlichen Fähigkeit anbelangte.
"Was ist los?" fragte Tom mich.
"Nichts", murmelte ich, weil ich keine Worte für das hatte, was in mir vorging. Eine vage Empfindung, mehr war es nicht. Ein Gefühl, von dem ich wußte, daß es mehr war als gewöhnliche Intuition. Es hing irgendwie mit meiner Gabe zusammen, da war ich mir sicher.
Ich blickte auf, sah Tom an. Er wußte genau, was in dieser Sekunde in mir vorging. Seine grüngrauen Augen verrieten es mir. Ich hatte mich unsterblich in diesen großgewachsenen, dunkelhaarigen Mann verliebt, der seit einiger Zeit wie ich als Reporter bei den LONDON EXPRESS
NEWS
angestellt war. Daß die Kollegen in der Redaktion sich darüber hinter vorgehaltener Hand die Mäuler zerrissen kümmerte mich dabei überhaupt nicht. Tom war einer der wenigen Menschen, denen ich meine seherische Gabe anvertraut hatte. Und er kannte mich gut genug, um zu wissen, wann ich etwas
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