Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
auf einmal wie aus dem Nichts heraus Spuren im Schnee. Das Knirschen wurde so laut, das es in den Ohren schmerzte. Die unsichtbare Geistertiger strebten allesamt auf uns zu. Von allen Seite kamen sie herbei. Wir waren eingekreist. Und dann materialisierten sie, einer nach dem anderen, mit einer gellen Lichterscheinung. Große, majestätisch
daherschreitende Katzen mit schwarzen und weißen Streifen im goldbraunen Fell. Es waren mehr Tiger, als man seit Jahrhunderten je an einem Ort versammelt gesehen hatte. Ihre Augen leuchten gespenstisch.
Ihr dumpfes Knurren bildete einen geisterhaften Chor. Ein unablässiges, bedrohliches und nervenzerfetzendes Summen. Ein unheimlicher Gesang, der von Augenblick zu Augenblick anzuschwellen schien...
"Wir sind verloren, Tom", sagte ich.
"Ja, vielleicht", murmelte er.
"Was geschieht jetzt?"
"Ich weiß es nicht."
"In welche Hölle es uns auch je verschlagen mag, Tom... Ich möchte, daß du weißt, wie sehr ich dich geliebt habe!"
"Patti..."
Er strich mir über das Kinn. Der Blick seiner grüngrauen Augen war ernst.
Ich fühlte etwas an meiner Wange. Eine Träne, die gewiß
gefrieren würde.
"Was auch immer geschehen wird, Patti", hörte ich Tom sagen. "Wir werden uns wiedersehen. Ich weiß es..."
"Ja", schluchzte ich, schlang meine Arme um ihn und preßte mich an ihn. Er hielt mich fest. Und ich war froh, in diesem Augenblick nicht allein zu sein - allein im Angesicht des Todes.
Aus den Kehlen von vielleicht hundert Uksaki kam jetzt im selben Moment ein wütendes Fauchen. Es klang unnatürlich verhallt, wie in einem Gewölbe.
Jetzt, dachte ich, ist es soweit.
In der nächsten Sekunde setzten sich die Geister-Tiger wie auf ein geheimes Zeichen hin in Bewegung.
Ihre gewaltigen Muskeln von geradezu übermenschlicher Stärke spannten sich und dann sprangen die Uksaki. Alle im selben Moment.
Wie in meiner Vision! schauderte ich.
Das war das Ende!
*
"Tom!" rief ich in heller Verzweiflung. Wir konnten nirgendwohin. Von den Uksaki waren wir vollkommen eingekreist. Ihre leuchtenden Augen brannten wie ein kaltes Feuer.
Mit fletschenden Zähnen sprangen sie auf uns zu. Dutzende, vielleicht Hunderte Und das Fauchen, das aus ihren Kehlen drang, klang wie ein eigentümlicher, fremdartiger Gesang.
Tom stellte sich schützend vor mich, doch es war aussichtslos, daß er diesen Bestien auch nur das Geringste anhaben konnte.
Wir konnten nichts tun. Und der arme Sergej, der versucht hatte, sich mit der Kalaschnikow zu verteidigen, war jetzt vermutlich nicht mehr am leben.
Mit weit aufgerissenen Mäulern und ausgestreckten Pranken, aus denen scharfe Krallen hervorkamen, sprangen sie auf uns zu. Und ich erwartete, daß diese mörderischen Pranken uns nacheinander erschlagen würden, bevor wir ein Raub der gewaltigen Mäuler wurden.
Aber dann geschah etwas sehr Seltsames.
Etwas, das schier unglaublich war und an ein Wunder grenzte.
Die Geister-Tiger verloren auf gespenstische Weise an Substanz. Sie wurden durchscheinend, wie schwache Diabilder, die an eine graue, nicht mehr ganz taufrische Leinwand geworfen wurden. Sie setzten ihren Weg unbeirrt fort. Aber das, was von diesen dämonischen Wesen zu sehen war, wurde immer schwächer.
Die mentale Kraft, die von diesen Wesen ausging, übte einen unglaublichen Druck auf mein Inneres aus. Ich faßte mir an die Schläfen, hinter denen es unangenehm pulsierte. Schwindel hatte mich erfaßt. Alles drehte sich, und ich krallte ich an Toms Anorak fest. Andernfalls wäre ich vermutlich einfach in den Schnee gefallen.
Die Uksaki liefen indessen einfach durch uns hindurch. Das Entsetzen schüttelte mich, als ich das begriff. Eine Erkenntnis, die mich fassungslos diesen durchscheinenden Geschöpfen nachblicken ließ, ehe sie sich ganz und gar aufgelöst hatten. Nur ihre Spuren drückten sich noch in den Schnee. Dutzende von Spuren, die allesamt eine ganz bestimmte Richtung zu haben schienen...
Sie haben ein Ziel! ging es mir durch den Kopf. Es dauerte nur Augenblicke, und wir waren ganz allein in jenem eisigen Wald. Ich zitterte, halb vor Kälte und halb vor Angst. Nichts war von den Uksaki noch geblieben. Nichts, außer ihren Spuren. Und auch die würden sich verlieren, wie wir ja bereits gesehen hatten.
*
Wir gingen zögernd auf das Kettenfahrzeug zu.
Sergej war tot.
Tom kletterte auf den Panzer hinauf,
verschwand dann im Inneren des Fahrzeugs und stellte fest, daß auch die anderen Insassen nicht mehr lebten.
Das Metall, aus dem das
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