Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
Verbrechen hinweisen könnten."
"Heißt das, Sie legen die Sache zu den Akten?"
"Nein, natürlich nicht. Aber im Moment können wir nicht viel mehr tun. Die Bewohner dieses Landhauses wissen nicht, wo der Vermißte Mr. Field abgeblieben sein könnte... Natürlich werden wir allen eingehenden Hinweisen nachgehen."
"Viel Hoffnung machen Sie einem ja nicht gerade!"
"In den meisten Fällen tauchen die Vermißten nach kurzer Zeit wieder auf!"
Tom machte inzwischen ein paar Bilder.
Währenddessen sah ich, daß Helen auf die Stufen des Portals hinausgetreten war. Sie blickte zum See hinüber und wirkte regelrecht wie entrückt. Ihr Blick war abwesend. Der leichte Wind, der über die Hügel strich, fuhr ihr durch das Haar und wehte ihr einige Strähnen ins Gesicht. Sie schien das nicht zu kümmern.
Ich ließ den Polizisten stehen und ging auf sie zu. Die unterste Stufe der breiten Steintreppe hatte ich bereits hinter mir, da wandte sie den Kopf in meine Richtung. Sie sah mich mit ihrem traumumflorten Blick an und zog die Augenbrauen zusammen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte fragend, so als ob ihr nicht so recht klar war, wen sie vor sich hatte.
"Guten Morgen, Helen" sagte ich vorsichtig. Schließlich war mir ihre heftige Reaktion vom Vorabend noch deutlich in Erinnerung.
"Guten Morgen", erwiderte sie. Ihre Augen wurden schmaler, der Blick aufmerksamer. "Habe ich Sie schon einmal gesehen?" fragte sie dann.
"Ja, gestern abend..."
Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht.
"Ja, ich erinnere mich..."
"Mein Name ist Patricia Vanhelsing. Ich suche nach meinem Kollegen Jim Field, der seit letztem Wochenende hier in der Gegend verschollen ist..."
"Er hätte nicht herkommen sollen!" sagte sie kalt. Die Härte im Klang ihrer Stimme erschreckte mich.
"Was meinen Sie damit?"
"Ist das so schwer zu verstehen? Ich sagte: Er hätte nicht herkommen sollen! Niemand sollte dies! Dies ist ein Ort des Unglücks und der Verdammnis!"
Ich sah sie forschend an und trat noch etwas näher. Ich hatte jetzt dieselbe Stufe wie sie erreicht. Wir hatten etwa dieselbe Größe. Der Blick ihrer dunkelbraunen Augen musterte mich auf eine eigenartige Weise, die ich nicht näher zu bestimmen wußte.
"Wieso glauben Sie das?" fragte ich.
"Sind Sie blind?" erwiderte Helen. "Sehen Sie sich doch um!
Sehen sie diese grauen, von Rissen durchzogenen Mauern, in denen sich nicht einmal das Moos ansiedeln mag! Sehen Sie sich den trüben, brackigen See an, an dessen Rändern sich eine Salzschicht abgesetzt hat! Sehen Sie sich jeden Strauch und jeden Baum im Umkreis mehrerer Meilen an und dann sagen Sie mir, daß dies ein Ort ist, an dem man gerne leben möchte!"
"Warum gehen Sie dann nicht fort, Helen?" fragte ich.
"Sie Ahnungslose!" murmelte sie. "Glauben Sie nicht, ich würde es tun, wenn es möglich wäre? Glauben Sie, ich bliebe freiwillig an einem Ort des Grauens und des Todes?"
"Helen!" fuhr jetzt Sir Wilfrieds Stimme dazwischen. Er hatte von meiner Unterhaltung mit seiner Tochter Notiz genommen und war herbeigeeilt.
Helen sah zu ihrem Vater hinab.
"Es ist schon gut, Dad", behauptete sie.
"Geh bitte ins Haus, mein Kind!"
"Ja."
Sie sprach beinahe tonlos, drehte sich herum und ging davon.
Ich sah ihr nach und fühlte mich hilflos. Was war mit dieser jungen Frau nur los? Sir Wilfried trat neben mich. Sein Blick war wütend.
"Hatte ich Ihnen nicht deutlich gemacht, daß Ihre Anwesenheit hier äußerst unerwünscht ist, Miss Vanhelsing?"
"Nun, ich..."
"Habe Sie nicht genug Unheil angerichtet?"
"Unheil?"
Sir Wilfried atmete tief durch. "Es fällt mir nicht leicht darüber zu reden, aber Sie werden sicher - auch aufgrund des gestrigen Vorfalls - festgestellt haben, daß Helen sehr sensibel und labil ist. Man könnte es eine Krankheit der Seele nennen..."
"Ist sie in Behandlung?"
"Kein Arzt der Welt könnte ihr helfen, Miss Vanhelsing. Aber Sie könnten Ihren Zustand durch ihre bohrenden Fragen verschlimmern. Also lassen Sie sie in Zukunft in Ruhe. Andernfalls werde ich gerichtliche Schritte gegen Sie und Ihre Zeitung erwägen..."
"Vielleicht..."
"Haben wir uns verstanden?" fiel er mir ins Wort. Ich nickte. "Vollkommen. Sie waren sehr deutlich."
*
Tom und ich fuhren zurück nach Rimsbury. An der Tankstelle stand bereits der Wagen eines Glasers, der damit beschäftigt war, eine neue Scheibe einzusetzen. Den Tankwart sah ich ebenfalls, aber er blickte nicht in unsere Richtung. Ich parkte den Mercedes vor dem Gasthaus und atmete tief
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