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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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ab. Wo war ihr Vater?
    »Vielleicht konnte er sich retten«, flüsterte Isaak, bemüht, den Zweifel aus seiner Stimme zu verbannen. Wie hätte sich ein einarmiger alter Mann der Angreifer erwehren können? Aber die Frau lebte immerhin ja auch noch. Sanft nahm Isaak Dunja das blutige Tuch aus der Hand und legte es zur Seite.
    »Sprich, Dunja«, sagte er leise. »Wo ist Yussuf?«
    Sie sang weiter, als hätte sie ihn nicht gehört.
    Knacken und Rascheln im Gebüsch. Isaak griff nach seinem Messer. Ein weißes Haupt zeigte sich oberhalb der aufbrechenden Knospen eines kleinen Holunderbuschs.
    »Ezra«, keuchte Iosefos, trat aber nicht näher. »Ich brauche deine Hilfe.« Der Kopf verschwand wieder.
    Ezra stürzte hinter den Busch. Iosefos saß auf der Erde und kämpfte mit den leinenen Hosen. Er schaffte es mit seiner einen guten Hand aber nicht, sie allein hinaufzuziehen. In jeder anderen Lage hätte dieser Anblick zum Lachen gereizt. Daran hinderte Ezra die Erleichterung, ihren Vater heil und lebendig zu sehen, all das Entsetzliche um sie herum sowie der Respekt vor dem Alter und der Behinderung.
    Sie hockte sich neben ihren Vater und half ihm in die Hosen.
    »Die fränkischen Beinkleider haben mir das Leben gerettet«, flüsterte der Baumeister seiner Tochter zu, als diese ihm später die Beinwickel an den Unterschenkeln zurechtzog. »Ich werde lernen, sie zu schätzen. Im arabischen Kleid hätte ich meine Notdurft schneller verrichten können und wäre jetzt auch tot.«
    Keiner erwähnte den Verlust ihrer Schätze oder Pferde, als sie mit Bechern, Löffeln, Messern und Händen eine Kuhle für die letzte Ruhestätte ihrer drei treuen Gefährten schaufelten.
    Iosefos hielt Ezra auf, als diese den Lederschlauch mit Wasser öffnete.
    »Nein«, sagte er, »wir brauchen all unser Wasser zum Trinken. Allah wird verstehen, dass wir sie nicht waschen können.«
    Isaak bot an, zum Tümpel zu gehen, doch Iosefos schüttelte den Kopf.
    »Nein. Wir müssen zusammenbleiben.« Er wandte sich an seine Tochter. »Man hat unsere drei Männer getötet, weil sie Muslime sind; das macht sie zu Märtyrern, und solche sollen in ihren Kleidern und ihrem Blut ungewaschen bestattet werden. Und ihr … «, er strich Ezra sanft über das mit welkem Blattwerk verklebte Haar, das ihr wie immer wirr ins Gesicht hing, und blickte traurig lächelnd zu Isaak, »… dürft sie beide ohnehin nicht berühren, wie ihr wisst.«
    Aus sehr unterschiedlichen Gründen, dachte Isaak und bemerkte: »Dennoch werden wir sie jetzt begraben. Jahwe, Allah und der Christengott würden es nicht gutheißen, die Leichname der guten Männer den wilden Tieren zu überlassen. Wir befinden uns in einer Notlage.«
    In mehr als nur einer Hinsicht. Die Räuber hatten alle Wertsachen mitgenommen, die nicht in ihre Kleidung eingenäht waren. Der Schatz des Kalifen war verschwunden. Wie auch die beiden Pferde, die sie in Konstantinopel den Söhnen des Markarios abgenommen hatten und für deren Transport ihnen der Kapitän des kleinen Schiffs ein Vermögen abverlangt hatte.
    »Wenigstens die Maultiere haben sie uns gelassen. Die werden uns nach Aachen bringen«, sagte Isaak, ohne zu erwähnen, dass ihn die Angreifer nicht gänzlich ausgeraubt hatten. Es hatte sich wahrlich ausgezahlt, Schutzbriefe und Edelsteine in die übelriechenden grauen Ziegenwolldecken seiner Maultiere einzunähen.
    aachen, mitte april 795
    Sie waren zu spät. Noch am Abend ihrer Ankunft in Aachen brachte Isaak in Erfahrung, dass der König einen Monat zuvor bereits einen verantwortlichen Baumeister für die künftige Pfalzkapelle berufen hatte, das ehrgeizigste Projekt der neuen Palastanlage, die ansonsten schon fast fertiggestellt zu sein schien.
    »Konstantinopel«, sagte Isaak vorwurfsvoll zu Iosefos. Er deutete auf die winzige Holzkapelle mitten auf einem großen abgesteckten Areal neben einem beeindruckend aufragenden Wehrturm. Dieser war genauso rot verputzt wie die riesige Halle, die nördlich davon hinter einer Vielzahl von provisorischen Holzverschlägen in der Dämmerung mehr zu erahnen als zu sehen war.
    »Der König möchte das Osterfest noch in dieser alten Kapelle feiern«, sagte Isaak und setzte leise hinzu, »ein Fest, bei dem man sich als Jude eher sehen lassen kann als am Karfreitag, als euer Herr ja von unsereinem, also seinesgleichen, ermordet worden ist.« Er räusperte sich. »Gleich nach Ostern soll die Holzkirche abgerissen und sofort mit dem Neubau eines ganz besonderen Gotteshauses

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