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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Essbarem umher, und in einer Ecke molk eine Frau eine Ziege.
    Angeekelt machte Iosefos auf dem Absatz kehrt.
    »Wir schlafen unter freiem Himmel«, sagte er zu Isaak, »leih uns deine Maultierdecken.«
    »Auch ihnen entströmt unguter Geruch«, sagte Isaak, »aber ich kann euch andere Decken beschaffen.«
    Was ihm erstaunlich rasch gelang und nur einen Bruchteil dessen kostete, was die von Iosefos zuvor gewünschten Decken beherbergten.
    Die Gruppe der Steinmetze, die in einem Unterstand nahe der Baustelle lagerte, hatte nichts gegen drei weitere Schläfer einzuwenden. Ezra wickelte sich in ihren Marderpelz. Sie blickte durch die unzulängliche Bedachung auf den blassesten Vollmond, den sie je gesehen hatte, und war unendlich dankbar für die frische Nachtluft.
    Wie so oft weckten den König noch vor dem Morgengrauen die Gedanken, die er vor dem Schlafengehen nicht zu Ende gedacht hatte. Außerdem quälte ihn der Hunger. Er ärgerte sich, dass er sich diesmal nicht von den Verpflichtungen der Fastenzeit freigekauft hatte. In diesem Jahr hätte er keinen Gott gefälligen Grund anführen können, da er weder in den Krieg zog, noch einer Reisestrapaze ausgesetzt war und sich nicht im Mindesten unpässlich fühlte – abgesehen natürlich von der allgemeinen Schwächung, die der Verzicht auf einen saftigen Spießbraten eben mit sich brachte. Es gab nicht einmal mehr eine junge Gemahlin, die seiner Manneskraft bedurfte und bei Laune gehalten werden musste. Fastrada war bereits im August des Vorjahres gestorben.
    »Verzeih mir, königlicher Vater«, sagte er zu dem Vollmond, der das Fußende seines Lagers beleuchtete und in dem er, wie so oft, das Antlitz seines längst verstorbenen Vaters zu erkennen meinte, »nach dem Osterfest werde ich deine Reliquienkirche abreißen, mit Odo von Metz eine neue erbauen und den Altar so ausrichten, wie du es versäumt oder nicht gewusst hast, aber wie es unserem himmlischen Vater wohlgefällig ist.«
    Der Tisch des Herrn. An dem er mit seinem Vater, König Pippin, an manchem Oster- und Weihnachtsfest gebetet und das Abendmahl empfangen hatte.
    Dieser Aachen er Altar war vermutlich aus jenem Stein gehauen, auf dem erst die Kelten ihrem Wassergott Granus Opfer gebracht hatten und der später den Römern als Weihestätte diente. Aber in der christlichen Kirche stand der Tisch des Herrn falsch. Er sollte nach Jerusalem weisen, als Herzstück des neuen Baus also um genau jene achtunddreißig Grad gewendet werden, die sein neuer Schreiber, dieser wunderlich kluge Einhard, errechnet hatte. Alles musste stimmen, damit die gute Zahl den guten Bau ergäbe, hatte der junge Schreiber gesagt. Noch bevor der erste Spatenstich für die neue Pfalz getan worden war, hatte er dem König einen Vortrag über die Prinzipien des römischen Architekten Vitruvius gehalten.
    Im Lichte des Vollmonds begann sich Karl anzukleiden. Er liebte es, wach zu sein, wenn alle anderen schliefen, fand nichts ergiebiger für seinen Geist als die Ruhe der sehr frühen Morgenstunden.
    In einer solchen war ihm auch der Gedanke für das Herzstück seines ersten ständigen Wohnsitzes gekommen. Nur wenige Eingeweihte wussten, dass die spätere Ausrichtung ebendiesen Altars den gesamten Bau der inzwischen halb fertigen Pfalzanlage bestimmt hatte. Natürlich wunderten sich die Baumeister und Handwerker über die Orientierung der neuen aufwendig gestalteten Steingebäude in der Aachen er Pfahlbautensiedlung, aber keiner hätte es gewagt, genauer nachzufragen. Nicht einmal hinter vorgehaltener Hand wurde gewispert, wie widersinnig es doch sei, die Aula und die anderen königlichen Häuser derartig schräg zu allen Gegebenheiten anzuordnen. Es war, als ob alle am Bau Beteiligten ein höheres Ziel hinter dieser Komposition erahnten.
    Leise öffnete Karl seine Tür, schritt behutsam über schlafende Wächter und Bedienstete und verließ den hohen Turm.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Ezra schrak zusammen und ließ den kleinen Stock fallen, mit dem sie Formen und Worte in den vom Morgentau benetzten Sand gemalt hatte. Sie hatte niemanden herannahen hören und nicht erwartet, zu so früher Stunde überhaupt schon einer lebenden Seele zu begegnen.
    Von Menschen und Geräuschen ungestört, hatte sie den schönen Traum festhalten wollen, aus dem sie das Schnarchen der Männer im Unterstand Stunden zuvor gerissen hatte. In diesem Traum war sie auf den Schwingen eines riesigen Vogels Richtung Mekka gereist. Staunend hatte sie die Welt

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