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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Geheimnis nicht entdeckt. Die Folgen wären katastrophal. Sie befahl ihrem Herzen, leiser zu klopfen, und ihrem Hirn, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf das Fundament.
    Die Stimme des jungen Mannes drang zu ihr durch. Habe ich wirklich die Lösung gefunden?, fragte sie sich verwundert. Wie seltsam, dass die Franken, die sämtliche Fachwerkhäuser in Aachen auf Pfählen errichteten, nicht selbst auf diese Idee gekommen sind.
    »Es ist die Achtung vor dem Gewicht des Steins«, sagte Lucas, als hätte er in ihrem Kopf gelesen. »Wir kennen Holz auf Holz und Stein auf Stein.«
    Gleiches gesellt sich zu Gleichem, dachte Ezra, wie soeben unsere Herzen und jetzt unsere Gedanken. Vielleicht hat Lucas doch etwas gemerkt. Er ist erschrocken und verbirgt sein Entsetzen, weil ich so hässlich bin. Weg, Dschinni, weg mit den verqueren Einflüsterungen! Konzentriere dich auf die Arbeit!
    Sie bildete mit den Händen ein Dach.
    »Da hast du recht«, sagte Lucas, »Steinhäuser decken wir natürlich mit Holz. Aber Holz unten und Stein oben ist für uns etwas Neues. Die steinernen Pfalzbauten stehen auch nicht auf Pfählen. Unsere Väter werden begeistert sein.«
    Deren Jubel hielt sich jedoch in Grenzen.
    »Jetzt müssen wir uns schon von Kindern sagen lassen, wie wir unsere Arbeit verrichten sollen«, murrte Odo.
    »Der Respekt vor der Weisheit des Alters schwindet«, stimmte Iosefos zu. »Am übelsten aber treibt es Einhard, dieser Schreibstubenzwerg.«
    »Am Hof nennen wir ihn die Ameise«, warf Odo ein, der die Gelegenheit nicht auslassen wollte, Iosefos daran zu erinnern, wie nah er doch dem König stand.
    Iosefos schnaubte.
    »Ameisen verrichten niedrige Arbeiten und tragen die ihnen zugewiesenen Lasten. Was qualifiziert ein solches Tier denn dazu, sich in Abwesenheit des Königs als Bauherr aufzuspielen?«
    »Der König hat an ihm einen Narren gefressen«, erwiderte Odo.
    »Dann sollte er ihn auch als solchen beschäftigen«, murrte Iosefos. »Ist er denn nicht so etwas wie ein Mönch? Dann soll er sich in seine Zelle verfügen.«
    Staunend verfolgten Ezra und Lucas das gänzlich gehaltlose Gespräch der beiden Männer, die noch am Vortag über wesentliche Entscheidungen nicht zu bewegen gewesen waren, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln. Dem Sumpf war somit das erste Fundament abgetrotzt worden: die Zusammenarbeit der beiden alten Streithähne.
    »Er ist im Kloster Fulda erzogen worden, aber er hat kein Gelübde abgelegt«, gab Odo zurück.
    »Sollte er schleunigst tun, am liebsten ein Schweigegelübde«, knurrte Iosefos.
    Seine Tochter war anderer Meinung. Sie mochte Einhard und suchte ebenso gern seine Nähe wie er offensichtlich die ihre. Fragen zum Bau schien er lieber an sie als an Iosefos zu richten, wiewohl die Kommunikation mit ihr mühsamer war und sie zudem oft erst bei ihrem Vater Erkundigungen einziehen musste. Wiederholt hatte Iosefos den Schreiber Einhard aufgefordert, diesen Umweg über seinen Sohn zu unterlassen, doch vergebens.
    Einhards kleine Statur hätte ihn überall zum Außenseiter gemacht, doch der König, der seine Klugheit und Bildung würdigte, hatte ihn in seinen engsten Kreis aufgenommen. Ezras befremdende Sprachlosigkeit hätte sie am Hof zum Gespött gemacht, wenn Karl sie nicht als auserwählten Architectulus unter seinen besonderen Schutz gestellt hätte. Andersartigkeit verbindet, dachte Ezra. Zudem empfand sie es als Entlastung, nur mit einem der vielzähligen fränkischen Würdenträger an Karls Hof umgehen zu müssen. Die anderen Männer, oft grob von Gestalt, streng riechend und mit gewöhnungsbedürftigen Manieren, schüchterten sie ein. Zudem konnte sie sich Namen, Ränge und die dazugehörigen zumeist bärtigen Gesichter nur schwer merken. Was für sie auch nicht unbedingt erforderlich war, da sie sich mit ihnen ohnehin nicht unterhalten würde. Lucas hatte ihr verraten, weshalb viele ihrerseits den Umgang mit ihr mieden.
    »Nicht alle können lesen.«
    Auch jetzt brachte Lucas das Gespräch auf den Punkt und mischte sich in den Wortwechsel der beiden Baumeister ein:
    »Einhard wird gegen die Pfähle gewiss nichts einzuwenden haben.«
    »Die Pfähle, ja«, sagte sein Vater zerstreut, »wir sollten sie augenblicklich anfertigen lassen.«
    Die Arbeiten verzögerten sich nur unwesentlich, da hundertfünfzig Eichenpfähle von drei Fuß Länge recht schnell zugespitzt werden konnten.
    oktober 795
    Iosefos stand an der Baustelle und raufte sich die ihm noch verbliebenen

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