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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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war ein Kind der Wüste; was verstand sie schon von Steinbauten auf sumpfigem Untergrund? Die erforderten doch eine gänzlich andere Gleichgewichtslehre als zehnstöckige Prachtbauten aus sonnengetrockneten Lehmziegeln! Ezra kannte sich nur mit sandigem Untergrund aus, höchstens noch mit Böden und Treppen aus Marmor. Die Eigenschaften schwerer steinerner Hausmauern waren ihr hingegen gänzlich fremd. Wie auch die Steine an sich. Unmengen unterschiedlichster Gestalt wurden täglich zur Baustelle gekarrt und türmten sich dort zu ungeordneten Gebirgen mit grauer, roter, gelber, brauner und grüner Färbung. Wie nur sollten sich diese unregelmäßigen Gesteinsbrocken zu ihrem Wüstenturm fügen? Ezras Vorschlag, die Steine nach Farbe und Größe zu ordnen, war von den Baumeistern belächelt worden. Beim Bau würde man die Steine so nehmen, wie sie gerade kämen, hatte ihr Lucas erläutert; ihre unterschiedlichen Farben würden ohnehin später unter dem roten Putz verschwinden. Nur die riesigen Quader, die man für die Ecken benötigte, mussten zum Behauen aussortiert werden. Es sei alles eine Frage des Mörtels, hatte Iosefos hinzugesetzt. Er ermahnte seine Tochter, sich nicht in technische Verfahren einzumischen, sondern nach seinen Anweisungen Zeichnungen auf Wachstafeln anzufertigen und später auf Pergament zu übertragen.
    Mit ihrer nächtlichen Arbeit hatte sie sich wieder einmal über den Befehl ihres Vaters hinweggesetzt. Ich habe mich einer Übung in Vermessenheit hingegeben, schalt sie sich und kroch rasch unter dem Tisch hervor. Ehe man sie abermals mitleidig belächelte, wollte sie die Zeichnung auskratzen.
    Doch dafür war es zu spät. Über ihr Werk gebeugt, stand Lucas am Pult. Lass ihn meinen Unsinn für die Abbildung eines sehr langbeinigen Tausendfüßlers halten, flehte sie Allah an. Wahrscheinlich wird er verärgert sein, dass ich müßig auf dem kostbaren Wachs herumgekritzelt habe. Aber das werde ich in Ordnung bringen und ist immer noch besser, als wenn er mich verlacht. Da wandte er sich um.
    Er lachte tatsächlich. Beschämt senkte sie den Kopf. Die Stube ist zu eng, dachte sie, ich muss an die frische Luft.
    Wenn nur meine Beine nicht so schwer wären.
    »Pfähle!«, rief Lucas, trat auf sie zu und schlug ihr so heftig auf die Schulter, dass ihre ohnehin zitternden Knie fast eingeknickt wären. »Ezra, du hast tatsächlich die Lösung gefunden!«
    Sie zwang sich, den Kopf zu heben. Würde Lucas ihr ins Gesicht lachen? Von Odo konnte sie ironische Bemerkungen ertragen; aus dem Mund seines Sohnes aber schmerzten sie wie Schläge in die Magengrube. Ihre Eingeweide schienen sich zusammenzuziehen; vor ihren Lidern flimmerte es. Doch in Lucas’ Augen las sie, dass er es tatsächlich ernst meinte. Sein offener Blick lobte sie. Eine Welle der Erleichterung wogte durch ihren Körper und löste den Krampf.
    Lucas fasste sie an beiden Schultern und zog sie an sich. »Wenn du eine Frau wärst, würde ich dich jetzt küssen!«, jubelte er.
    Ezras Knie gaben sogleich endgültig nach. Sie wäre zusammengesunken, wenn Lucas sie nicht fest an sich gedrückt hätte. Und dann geschah es. Ihre Oberarme haltend, rückte er einen halben Schritt von ihr ab und starrte ihr entgeistert ins Gesicht.
    Er hat es gespürt, dachte sie. Er weiß jetzt, dass ich eine Frau bin. Das ist gut. Er soll mich küssen. Sie schloss die Augen. Ein Schauer lief ihr durch den Körper. In Erwartung des wundervoll Unvermeidlichen wich ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Doch Lucas küsste sie nicht, sondern schob ihr mit dem Fuß einen Schemel hin.
    »Wie rücksichtslos von mir!«, schalt er sich. »Du zitterst ja schon vor Erschöpfung!« Fürsorglich half er Ezra, Platz zu nehmen. »Kein Wunder, wenn du die Nacht hindurch gearbeitet hast. Aber es hat sich wahrlich gelohnt. Wenn wir Hunderte von Eichenpfählen ganz dicht nebeneinander bis zum festen Untergrund in den Sumpf rammen, dann sollten wir auf ihnen das Fundament mauern können!«
    Ezra hörte kaum hin. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre Fassung wiederzugewinnen. Der Dschinni, der in ihren Stilus gefahren war, hatte sich offensichtlich auch ihres Körpers bemächtigt. Für das, was in ihm vorging, gab es keine andere Erklärung. Hebe dich hinweg, gebot sie dem bösen Dämon, der ihr den Verstand vernebelt hatte.
    Sie atmete tief durch. Wenn mich ein Mann an sich drückt und nicht spürt, dass ich eine Frau bin, dann bin ich auch keine. Zum Glück hat Lucas mein

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