Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
ausschachten«, murmelte Odo Lucas zu, ohne Iosefos anzusehen. Der schlug auf einen der Schnurgerüstpfosten und wandte sich ebenfalls an Lucas: »Wir müssen alles ändern. Man sollte den König verständigen.«
»Wenn er nicht schon fort ist«, entgegnete Lucas, ohne die Kommentare zu wiederholen. Er deutete in Richtung der Stallungen.
Entsetzt sahen sich die beiden Baumeister an. Angesichts der katastrophalen Entdeckung hatten sie völlig vergessen, dass der König schon an diesem heutigen Tag hatte aufbrechen wollen; erst zur Jahresversammlung in Kostheim an den Mittelrhein und danach an die Elbe, wo er einen erneuten sächsischen Aufstand niederschlagen wollte. Frühestens im Herbst würde er zurückkehren und zumindest ein fertiges Fundament erwarten. Das aber auf sumpfigem Untergrund nie und nimmer eine hohe Kirche aus massivem Stein würde tragen können. Schon gar nicht, wenn, wie geplant, einer der acht wuchtigen Pfeiler genau über der nassen Stelle errichtet werden sollte.
»Schnell«, sagte Iosefos umstandslos zu Odo.
Nebeneinander hasteten die beiden Baumeister zu den Stallungen.
Lucas wollte ihnen hinterhergehen, aber Ezra hielt ihn am Ärmel fest.
»Ich muss doch … «, begann er.
Ezra schüttelte den Kopf. Hinter dem schwarzen Vorhang des wirren Haars glitzerten ihre graugrünen Augen. Lucas verstand und nickte. »Du hast recht. Sie werden es nicht wagen, sich vor dem König so zu verhalten wie vor uns.«
In der Tat vergaßen die beiden Männer, dass sie einander nicht kennen wollten, und zogen wortreich an einem Strang. Bereits zur Abreise gerüstet, blickte Karl von seinem Ross herab ungeduldig auf seine beiden Baumeister, die ihn eindringlich beschworen, den Standort der Kapelle ein paar Fuß weiter nach Norden zu verlagern. Mit Engelszungen redeten sie auf den König ein. Im Morast könne man unmöglich Fundamentgräben ausheben! Doch Karl blieb störrisch.
Der Altar sei das Herzstück und müsse wieder an genau die gleiche Stelle gerückt werden, wo er in der Holzkirche seines Vaters gestanden habe; die gesamte Pfalzanlage sei schließlich auf diese Überlegung ausgerichtet worden. Die beiden Baumeister hätten also gefälligst eine vernünftige Lösung auf der Grundlage der bisherigen Planung anzubieten. Mit dem bisschen Wasser würden sie schon fertigwerden. Er wünschte ihnen viel Erfolg, hob die Hand zum Gruß und ritt von dannen.
Iosefos hoffte auf eine Eingebung im Schlaf und zog sich mit Dunja frühzeitig zurück. Odo und Lucas wanderten ins Handwerkerdorf, um sich mit den dortigen Bauleuten zu beraten. Ohne befriedigendes Ergebnis, wie Ezra aus den schwerfälligen Schritten schloss, mit denen die beiden später die Stiege zu der ihnen verbliebenen Kammer emporklommen. Ezra verbrachte eine schlaflose Nacht in der Werkstatt. Grübelnd stichelte sie auf einer großen Wachstafel herum, bis ihr kurz vor dem Verlöschen der ersten Sterne die Lösung zuflog.
Hoch befriedigt dankte sie Allah. Für die Sunna des Fajr-Gebets war es allerdings noch zu dunkel. Daher beschloss sie, mit einer verwegenen Tat die Zeit zu überbrücken. Nur in eine Tunika gehüllt, ergriff sie ihre Kerze und verließ auf bloßen Füßen die Werkstatt.
Als sie drei Tage zuvor zum ersten Mal nachts heimlich zum Badehaus geschlichen war, hatte sie in der Halle nur kurz verweilt, um sich vor dem Morgengebet schnell zu waschen. Beruhigt hatte sie festgestellt, dass der gesamte Hof im Tiefschlaf lag.
Genau wie jetzt auch. Sie huschte aus dem Haus und lief zu dem Gebäude, das Karls Badeanlage beherbergte. Wieder stieg sie im langen Flur behutsam über schlummernde Bedienstete. Sie stieß leise die schwere Tür zu den Wasserräumen auf und zog sie danach vorsichtig hinter sich zu. Natürlich war das Bad zu dieser Stunde menschenleer. Sie blickte auf das große Schwimmbecken, aus dem etwas Dampf zu steigen schien. Wie schön es doch wäre, endlich wieder einmal gänzlich untertauchen zu können! Die Kerze hochhaltend, wanderte sie um das Becken herum, bis sie vom Eingang so weit wie möglich entfernt war. Was könnte geschehen, wenn wider Erwarten doch ein Mann auf den gleichen Gedanken wie sie käme? Der würde sicherlich glauben, eine der Töchter des Königs hätte sich ein Bad gönnen wollen, beruhigte sie sich, als sie das Licht auf den Boden stellte; außer den kecken Königstöchtern wagte sicherlich kein Weib am Hof, diese Räumlichkeiten ohne Aufforderung zu betreten. Sie streifte die Tunika ab und glitt
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