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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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breitete die Arme aus mit den offenen Handflächen nach oben. Sie würde sich nicht abschütteln lassen; sie wollte mehr hören.
    »Du bist immer da«, sagte Ezra unwillig, weil ihr nichts anderes einfiel. »Du hast dich gut um meinen Vater und mich gekümmert. Das ist vorbei. Du kannst jetzt tun, was dir beliebt.«
    Dunja beliebte es, eine weitere Frage zu stellen: »Was weißt du noch über mich?«
    »Nichts«, antwortete Ezra. Ihr fiel selbst auf, dass sie jetzt so schroff klang wie früher ihr Vater. Das aber sollte Dunja nicht zu der Annahme verleiten, seine Tochter wolle das Erbe doch antreten. Ohne ihre Ungeduld zu verbergen, setzte sie freundlicher hinzu: »Lass uns später reden, Dunja.«
    Die Sklavin hob den Deckel des Suppenkessels.
    »Willst du etwas essen?«
    »Nein.«
    »Was kann ich für dich tun?«
    Ezra flüchtete sich wieder in Schweigen. Es reute sie, den Mund überhaupt zum Sprechen geöffnet und Dunja damit zum Gespräch herausgefordert zu haben. Sie deutete auf ihren Vater. Wenn schon die Hoffnung auf außerkörperliche Nachricht von ihm vergeblich war, wollte sie zumindest um den Fortgegangenen trauern. Sie wollte nicht über Dunja nachdenken, die ohnehin immer da war. Der sie jetzt die Freiheit geschenkt hatte, damit sie Ruhe gab.
    »Dein Vater war ein großer Mann.«
    »Ja«, knurrte Ezra.
    »Ich war in einem sehr bösen Haushalt, bevor er mich gekauft hat. Damals war ich noch fast ein Kind.«
    Warum kann die Frau nicht schweigen?
    »Er hat dich auf den christlichen Namen Theresa getauft, bevor er dich zum Knaben machte.«
    Ezra erschrak.
    »Woher weißt du das?«
    »Er hat es mir gesagt. Damals schon. Er wollte es dir später leichter machen, dich für einen Glauben zu entscheiden. Deine Mutter war eine sehr gläubige Muslima.«
    Ezra legte sich auf den Boden.
    »Erzähl mir von ihr.«
    Dunja hatte Amina sehr verehrt. Doch vor dem großen Zorn des Iosefos hatte sie Amina an jenem verhängnisvollen Tag nicht schützen können. Zum ersten Mal sprach Dunja über Aminas Zeichnung, deren Linien Ezra später in den fränkischen Sand gezeichnet hatte.
    »Den Gedanken dazu hat dir deine Mutter vererbt. Wie deine Schönheit. Und dein Vater hat nun mich dir vererbt.«
    In ihrem eintönigen Singsang sprach Dunja weiter. Ezra hüllte sich in eine der vielen Decken, die Lucas herbeigeschafft hatte, und gab sich der Stimme hin, die sie, wie schon in ihrer Kindheit, irgendwann in den Schlaf wiegte.
    Mit einem Ruck wachte sie auf. Eine Erschütterung hatte sie geweckt. Sie brauchte ein paar Augenblicke, um sich in der Dunkelheit zu vergegenwärtigen, wo sie sich befand. Die Fackel war verloschen. Nichts rührte sich.
    »Dunja?«, sprach sie in die Dunkelheit.
    Keine Antwort.
    Langsam richtete sie sich auf und strengte Augen und Geist an.
    Sie befand sich im Oktogon neben ihrem toten Vater, konnte die Umrisse seines Körpers ausmachen. Aber wo war Dunja?
    Ezra stand auf und stolperte über den Suppenkessel, den Lucas ihnen hingestellt und aus dem niemand etwas gegessen hatte. Der Deckel schepperte.
    »Dunja!«, rief sie nun lauter und ging suchend auf der Baustelle umher, wohl darauf bedacht, gegen keinen weiteren Gegenstand zu stoßen. Sie rechnete nur mit harten Gerätschaften. Als ihre Füße etwas Weiches berührten, ging sie in die Knie. Weshalb lagerte Dunja in solch ferner Ecke? Noch dazu ohne Decke in dieser Kälte? Ezra rüttelte sie, doch Dunja rührte sich nicht. Sie musste sehr tief schlafen.
    Von hinten näherte sich ein flackerndes Licht. Es offenbarte die unnatürliche Lage von Dunjas Körper, die seltsam abgewinkelten nackten Beine, den vom Kleid fast gänzlich bedeckten Kopf.
    Ezra stockte der Atem.
    »Nein!«, schrie sie. »Nein!«
    »Gott Allmächtiger!«, entfuhr es Lucas.
    Mit der Hand, die nicht das Licht hielt, zog er an Dunjas Kleid, um die Blöße der Frau zu bedecken. Der Kopf mit den geöffneten blicklosen Augen lag in einer Blutlache.
    »Dunja!«
    In Ezras Schrei war vieles zusammengefasst. Entsetzen, Schmerz und bittere Selbstanklage. Ich bin schuld, hämmerte es in ihrem Kopf, ich habe sie dazu getrieben. Mit meinen Worten. Weil ich sie freigegeben habe. Sie ist auf das Innengerüst geklettert und hat sich in die Tiefe gestürzt. Der Gedanke an eine unbekannte Freiheit ist für sie bedrohlicher gewesen als der Tod. Wir sind verantwortlich für unsere Sklaven. Wie oft hat mein Vater das früher gesagt!
    »So sehr hat deine Mutter Meister Iosefos geliebt«, murmelte Lucas und sah

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